Diesmal in der Reihe Literary Looks: Joris-Karl Huysmans‘ Against Nature (1884). Der Roman gilt als Grundlagenwerk der Decadence, er ist mitverantwortlich für den moralischen Verfall des jungen Dorian Gray und zelebriert das von Théophile Gauthier postulierte Dogma: Art for art‘s sake.
Frei von einem stringenten oder gar kausal verknüpften Plot, dreht sich Against Nature um einen Aristokraten namens Floressas des Esseintes (ab hier: Des Esseintes). Ausgelaugt und angewidert von der modernen Pariser Gesellschaft zieht er sich in eine Vorstadtvilla in Fontenay zurück. Er ist der letzte Verbliebene eines jahrhundertealten Adelsgeschlechts (Inzucht wird als Grund für den Niedergang der Des Esseintes angeführt) und wird zu Beginn als ein hagerer junger Mann von dreißig Jahren, anämisch und nervös, mit hohlen Wangen, kalten, stahlblauen Augen, aufwärtsgerichteter, aber gerader Nase und trockenen, zarten Händen charakterisiert.
Aus Angst vor jeglichem Kontakt zu anderen Menschen fordert er sogar sein Personal auf, möglichst unauffällig durch das Anwesen zu schreiten, um seine Aufmerksamkeit nicht zu erregen. Die Außenwelt meidet er gänzlich. Doch die Isolation führt zu großer Langeweile und Lethargie. Des Esseintes entflieht diesem Zustand, indem er sich der Kunst, dem Künstlichen und jeglicher Form von ästhetischer Ausgestaltung seines Lebens widmet. Exzessive Momente der Kreativität sollen seinem Ennui ein Ende bereiten.
So beginnt eine durchaus verstörende Reise durch die Gedankenwelt der Hauptfigur. Zunächst beschäftigt sich Des Esseintes mit der Wahl von Wandfarben. Er wählt die Pigmente unter anderem danach, wie sie sich im Licht seiner Lampen verhalten – in künstlichem Licht also. Er kreiert exzentrische Düfte, schwelgt in sexuellen Phantasien und verziert eine Schildkröte, die er als Haustier hält, mit Gold und Diamanten. Nachdem er seine Zimmer lange Zeit mit künstlichen Blumen von höchster Handwerkskunst schmückte, übt er sich im Gärtnern und lässt echte Blumen beschaffen. Die Krux: Die Blumen sind nun zwar echt, sie wirken jedoch, als seien sie künstlich. Doch die Pflanzen verwelken und auch die Schildkröte wird schließlich von der Last der Edelsteine erdrückt.
Auch bei Des Esseintes führt die unersättliche Suche nach immer neuen Sinnesreizen nur zu einer immer noch größeren Erschöpfung. Als ihm ein Arzt schließlich rät, wieder ins gesellschaftliche Leben zurückzukehren, um seinen Gesundheitszustand zu verbessern, ruft Des Esseintes: Brich zusammen, Gesellschaft! Stirb, alte Welt!
Des Esseintes befolgt schließlich den Ratschlag seines Arztes und entscheidet sich, doch noch einmal das vorstädtische Exil zu verlassen, um nach London zu reisen. (Wer könnte es ihm verdenken?) An dieser Stelle wird sein Stilbewusstsein besonders deutlich. In Vorbereitung auf die Fahrt wählt Des Esseintes das Outfit, das er für seine Rückkehr in die Gesellschaft tragen wird: einen seinerzeit in London bestellten Anzug. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass Des Esseintes guten Geschmack hat. Der Stoff dieses Anzugs ist mausgrau und hat ein hellgraues Karomuster. Natürlich, so vermutet Des Esseintes, wird es in London regnen. Welche Farbe würde also besser ins Bild passen als grau? Dazu trägt er Jagdstiefel mit Budapestermuster und dunkelgrüne Seidenstrümpfe. Ein Inverness-Mantel und ein runder Hut komplettieren die Reisegarderobe. Eine extravagante Wahl, die jedoch in Farbgebung und Praktikabilität hervorragend auf das Reiseziel abgestimmt ist. Trotz des akribisch zusammengestellten Outfits wird Des Esseintes nie nach London reisen. Das regnerische Wetter in Paris und die Entdeckung eines London-Baedekers verhelfen Des Esseintes' Imagination zu neuer Hochform. Kurz bevor er in den Zug nach London steigen müsste, sieht er keinerlei Anlass mehr, die Strapazen der langen Fahrt auf sich zu nehmen. Er habe in seiner Phantasie sowieso alles erlebt, was zu erleben gewesen wäre: Er faulenzte in diesem fiktiven London.
Bevor er sich in seine selbstauferlegte Isolation zurückgezogen hatte, war seine Kleidung ebenfalls außerordentlich extravagant: Er kam in den Ruf eines exzentrischen Sonderlings nicht zuletzt dadurch, dass er weiße Samtanzüge und goldverbrämte Westen trug; als Krawatte trug er im tiefen Ausschnitt des Hemdes einen Strauß Parmaveilchen.
Nachdem er vom Versuch seiner London-Reise zurückkehrt, verschlechtert sich sein gesundheitlicher Zustand allmählich. Aufgrund seiner Magenbeschwerden muss Des Esseintes seine Garderobe anpassen. Er vermag weder ein festgeknöpftes Beinkleid noch eine anliegende Weste zu ertragen. In dieser Phase stelle ich mir Des Esseintes in seidenen Morgenmänteln vor, die, seiner Faszination für Japan nach, an Kimonos erinnern dürften. Bedruckt mit Motiven, die auch sein japanisches Zimmer zieren. Schließlich lässt er sogar die Verzierung seiner Schildkröte nach dem Vorbild einer japanischen Blumenzeichnung anfertigen.
Sollten Sie nun in Verlegenheit geraten sein, eine London-Reise zu planen, Ihre Lieblingswerke der katholischen Tradition zu inventarisieren, oder bereiten Sie sich auf einen Rückzug aus der Gesellschaft vor?
Dann würden wir, in Anlehnung an Des Esseintes, folgende Garderobe empfehlen: Für ruhige Tage im trauten Heim eignen sich unsere Pyjamas und Morgenroben ideal. Hier sind Kimono-Muster in gedeckten Farben sehr gut vorstellbar: Kraniche, Veilchen und Kirschblüten – zum Beispiel auf dunkelblauer Seide.
Sollte Ihnen der Sinn doch nach etwas Gesellschaft stehen, empfiehlt sich ein mittelgrauer Dreiteiler aus Flanell. Anstelle des einfachen Karos würde ein Glencheck-Muster sicherlich hervorragend aussehen. Ersetzen Sie die lilafarbenen Parmaveilchen im Ausschnitt mit einer Krawatte in ebenjener Farbe. Dazu ein fliederfarbenes Hemd, schwarze Chelsea-Boots und – sollten Sie tatsächlich nach London reisen – vergessen Sie auf keinen Fall Ihren Regenschirm.
YS/MM/JHS