Via Telex to Mr Lush, City of Westminster

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Bon ami,
gestern war die Luft lau, die Sonne gnädig und der Wind still. Als der Tag golden sich verabschiedete ließ ich mir vom Hôtel einen Rotkäppchen-Korb zusammenstellen – mit einer famosen Bouteille Moselwein. Das Wenige, was die Teutonen zum Vergnügen des Gaumens beitragen können verdanken Sie auch noch den Römern. Nun, gegen Abend nahm ich mein Körbchen und wandelte federnden Schrittes erneut in den Garten von Voltaire und suchte mir einen kuschligen Platz, um mein Picknick zu verzehren. Aton verschwand hinter dem Horizont und begann seine Reise in die Unterwelt, um am nächsten Morgen siegreich wieder empor zu steigen – zur Freude und Lust von allem, was lebendig ist. Ich entkorkte also den Wein und ließ mir den kalten Braten schmecken. Zunächst dachte ich an Glühwürmchen als mir kleine Lichter kurz über dem Erdboden auffielen. Sie nährten sich langsam meinem Lager.

Dann bemerkte ich meinen Irrtum: Nicht die Laternen von Glühwürmchen waren es, was sich mir näherte, sondern ein feierlicher Aufzug. An der Spitze ging ein Eichkater, der seinen buschigen Schwanz senkrecht in der Höhe streckte – seiner Würde sehr bewusst. Er trug einen eleganten, fuchsroten Frack mit einer schneeweißen Hemdbrust. Am possierlichsten waren jedoch seine Ohrenpinsel, die bei jedem Stritt leicht vibrierten. Gemächlichen Schrittes kam der Eichkater auf mich zu, machte seine Referenz und stellte sich als Chevalier de là Brousse vor. Er wurde von einigen grau-livrierten Mäusen begleitet, die streichholzgroße Fackeln trugen. 

Er wies auch darauf hin, dass ein Chevalier de là Brousse bei Voltaire im Dienst stand. Er war damit beschäftigt, für den alten Herrn Nüsse zu knacken, denn davon konnte der Greis nie genug haben. Seit diesen Tagen war seine Familie eng verbunden mit dem Schloss und hielt das Andenken an den Patriarchen in Ehren. Daher sei er heute Abend am Schloss erschienen und ihm sei ganz philosophisch zu Mute. Danach machte er Komplimente über meinen Anzug – im Besonderen über die Flecken, die mir den Flair eines Freibeuters gäben. Das schmeichelte mir sehr. Denn welcher kleine Junge will nicht Erol Flynn nacheifern? Es fehlt mir nur noch ein Degen. 

Ich entbot ihm einen Schluck des Rebensaftes und er trank ihn aus einer Nussschale, die ihm ein Lakai reichte. Wir tranken auf die Wiederauferstehung, was Voltaire sicher zu einer bissigen Bemerkung verleitet hätte. Dabei erzählte der Chevalier mit einem spitzen Lächeln, dass Voltaire auf seinem Gut eine Kirche gebaut hatte. Der kleine Schelm konnte es sich aber nicht verkneifen, über dem Eingang die folgende Inschrift anzubringen: "Deo erexit Voltaire". Welch persönlicher Umgang mit dem Herrn! Auf du und du – so lob ich mir die Religion. So plauderten wir eine gute halbe Stunde. Der Mond stand in seinem Hof und gab ein milchiges Licht von sich. Der Chevalier fragte, wohin es mich denn als nächstes verschlagen würde? Nun, meine Antwort war doch sehr zögerlich. Ich hörte das Echo der Worte, die mir in Zürich zugetragen wurden. So antwortete ich: "In das Land der Teutonen". Ich bin mir sicher, dass es sich anhörte als würde ich zu den Athabasken in Alaska reisen – in die raue Wildnis.

Der Eichkater legte sein Köpfchen zur Seite und grinste: "Nun, so schlimm ist es dort doch nicht. Voltaire meinte zu den Teutonen: 'Wenn sie amüsant sein wollen, springen sie aus dem Fenster.' So ganz ist das ja nicht von der Hand zu weisen – in welchem Land geht man zum Lachen schon in den Keller?“ Den ein oder anderen amüsanten Moment konnte der Eichkater bei den Teutonen doch entdecken, weshalb er mir auch Thomas Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull ans Herz legte. „Darin sind Momente der Lockerheit und des Unfugs zu finden – einige Leser würden von Frivolität sprechen –, die es erlauben, die Teutonen ein wenig lieb zu gewinnen. Ja, wenn nur ein ganz temperamentvoller Aspekt übersehen werden könnte: Die Mutter von Thomas Mann war brasilianischer Herkunft.“ Der Eichkater und ich lachten herzlich.
Cher ami, je vous souhaite une bonne nuit.
Ozelot

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