Als ich mit Ayres Gonçalo sprach, überkam mich eine Gänsehaut, denn er leitete das Gespräch mit dem romantischen Ausruf "Craftsmanship! Pure Craftsmanship!" ein. Dieser - sollte man meinen - selbstverständliche Anspruch eines jeden Anzugträgers und Schneiders geht in unseren heutigen Gesellschaft unter dem kapitalistischen Druck immer häufiger in die Knie. Der gebürtige Portugiese aus dem Hafenstadt Porto lernte ab dem 16. Lebensjahr bei seinem Großvater Ayres Carneiro da Silva, einem der großen Herrenschneider Portugals, das Handwerk. Doch anstatt den geradlinigen Weg zu beschreiten und die Tradition Hand in Hand weiterzuführen, beschloss er nach sieben Jahren Lernen und Erfahrungsammeln sich auf eine Reise zu begeben.
Ayres Gonçalo - Ein Schneider erweitert seinen Horizont
In 2004 wurde Madrid die Heimat des jungen Portugiesen. Die berühmte Sociedad de Sastres de España hieß Ayres herzlich willkommen und verfeinerte die technischen Fähigkeiten des Schneiders. Neben seiner Arbeit beim spanischen Schneider Pedro Muñoz of N. in Madrid wurde er für seine Arbeiten in 2005 mit dem Cortador de Sasteria Zertifikat ausgezeichnet. Doch damit nicht genug, setzte der 24-jährige die nächste Landmarke in London: Gieves & Hawkes auf der Savile Row No. 1 musste es werden, damit Ayres einen Schneidertraum verwirklichen konnte. Das Arbeiten und Lernen auf der goldenen Meile der Schneider war und ist für jeden Handwerker der Ritterschlag. Nachdem er in 2010 feierlich das Bespoke Tailor Zertifikat von der Savile Row Association erhielt - der finale Zutritt zur weltweit erlesensten Schneiderelite -, entschloss er sich die europäische Union zu verlassen und mit Michael Andrews Bespoke in New York zusammenzuarbeiten. Ende 2010 mit insgesamt fast zehn Jahren sartorialer Erfahrung kehrte er zurück in sein Heimatland. Dort hob er die Familientradition auf noch höheres Niveau.
Sein Stil ist geprägt von Eindrücken und Erfahrungen
Ayres Gonçalo beschreibt in seinen Gespräch mit mir, dass er sich jedes Mal, wenn er in eine neue Stadt kam, sich neu an den Hausstil und die Bedürfnisse der Klientel anpassen musste. Diese Anpassungsfähigkeit gepaart mit seiner handwerklichen Qualität ist seine große Stärke. Hier ist es notwendig zu erwähnen, dass der 35-jährige von Hosen über Mäntel bis Jacketts alles schneidern kann und selbstverständlich auch selber schneidert - das Attribut eines Meisters. Für diejenigen, die das jetzt wundert, gilt zu erklären, dass in einem extrem durchstrukturierten Prozess, der teilweise in Ausbildungen angewandt wird, sich die Schneider monatelang auf die einzelnen Schritte konzentrieren müssen. Dabei kristallisieren sich schnell Spezialisten für die einzelnen Bereiche heraus, aber das große Ganze gerät aus dem Fokus. Dass Ayres diesen Blick für die Gesamtproportion hat, kommt seinen Kunden entgegen. Der Schneider verhilft ihnen damit, ihren Körper perfekt in Szene setzen zu lassen. Dass sich aber das Herz des Südländers in seinen momentanen Kreationen auslebt, erkennt ein jeder Interessent:
Ein südländischer Stil
Ayres erklärt, dass sein Stil stark südeuropäisch ist und dass dieser Kunde zweckbedürftig denkt. Er sucht Farben und Schnitte, die dem Wetter, der Kultur und dem Hauttyp entsprechen. Die Schulter ist deshalb eher schwach und erinnert am meisten an die neapolitanische Linie der Häuser Rubinacci & Co. KG. Durch die generell leichte Konstruktion wird den bisweilen heißen Temperaturen in Portugal ein Schnippchen geschlagen. Zusätzlich betont die breite Reversformen die Männlichkeit ihres Trägers. Die Klientel von Ayres rekrutiert sich aus der Welt der Banken, der Politik, des Sports, der Kunst bis hin zum Film, denn jeder im Süden möchte gut gekleidet sein.
Ayres Goncalo nimmt in Lissabon und Porto Maß, nach Vereinbarung auch auf der Savile Row in London und rundet so das Bild des Pedro Álvares Cabral der Schneiderszene vollends ab.
Zusatzinformationen
Erstens, in seiner Zeit für Gieves & Hawkes hatte Ayres Gonçalo die Ehre für His Royal Highness Prince of Wales einen Anzug zu fertigen. Zweitens, bei Ayres gibt es nur Bespoke und kein Made-to-Measure oder Ready-To-Wear und seine Preise sind gemäßigt: ein maßgeschneiderter Anzug startet bei 2.000 €, die Hose bei 500€ und ein Sakko bei 1600€. MM