Via Heliograph an Mr Lush, City of Westminster

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My British Lion Lush,

nach den Tagen in Zürich freute es mich, wieder ein wenig Fahrtwind um die Ohren zu spüren. Ursprünglich hatte ich ja München ins Auge gefasst. Die ernsten Worte sowie die unschönen Bilder, die in der Bibliothek evoziert wurden, ließen mich jedoch von diesem Plan Abstand nehmen. Oder waren es die Sätze von Tacitus?

Was auch immer mein Gemüt bewegt hat, nun bin auf dem Weg nach Ferney-Voltaire – die Zuflucht des hellsten Lichtes, der schönsten Sonne des 18. Jahrhunderts –, um dort in seinem Garten die Freuden des Promenierens zu erlernen. Welch eine Wonne.

Ich möchte die Zeit im SchuSchu-Zug nutzen, um Ihnen meinen Besuch in der Krix Krax Bar zu schildern. Es ist eine kleine Bar, die mit ihrer Holzvertäfelung und der rosafarbenen Decke ein Treffpunkt gutbürgerlicher Schweizer ist. Unbequem knarzende Barstühle und der Qualm von Zigarren und Zigaretten schafft eine Atmosphäre, die einem Schwarzwälder Schinken erst die volle Reife ermöglicht. Als Musikliebhaber wären Sie von der Musikauswahl begeistert gewesen. Melodien, die sicher bereits beim Untergang der Titanic à la mode waren. Der Prince of Wales wird aus silbernen Bechern, die eine Kelchform haben, gelüpft. Die Gläser sind so klein wie kostbare Porzellantassen aus der Ming-Dynastie. Zwar sind die Getränke von guter geistiger Qualität, die Preise dafür schrammen aber schon die Schwelle zur Wegelagerei.

Nicht zu vergessen, der Abort. Die letzte umfängliche Instandsetzung erfolgte in der glorreichen Regierung unseres allseits geliebten George VI. Das erfreulichste an der ganzen Angelegenheit ist jedoch die Person des Patrons. Er wirkte nicht wie ein Chef de Bar, sondern wie ein Literat auf Freigang. Sein leicht gepolstertes Vollmondgesicht war glattrasiert und am Nacken und an der Seite scharf und kurz frisiert. Seine Stimme lag in der Höhe der priesterlichen Huld. Prunkend und schwül trug er aus seinem eidetischen Gedächtnis Sentenzen von Dichter vor, da er selbst offenbar zu keinen eigenen Ideen, Bildern oder Vorstellungen vorstoßen kann. Die Gäste hingen klebten mit ihren großen Augen an den Lippen dieses Artisten der Reproduktion fremder Federn. So, als ob sie keine eigenen Lesefrüchte im Hirn gesammelt hätten. Das allerliebste an dem Protektor war die güldene Kette, die sich über das Bäuchlein spannte – und daran ein Kreuz. Himmlisch, wie sich Schauspielkunst mit Frömmigkeit verbindet. Denn jeder sollte erkennen: Nicht nur ein Dichter steht hier, sondern auch ein wahrlich Gläubiger. Nur an was glaubt er? Für mein Dafürhalten vor allem an seinen Klingelbeutel. 

Nach dieser Lesung erlaubten sich einige Gäste, Auskunft über tagespolitische Fragen vom Meister zu erbitten. Ja, jetzt wurde er ganz salbungsvoll und pfäffisch im Ton – fast ein wenig weinerlich. Solch große Themen seien den großen Geistern vorbehalten. Was kann denn schon ein Heinz Müller für eine Meinung haben, wenn dieser nicht bis vier zählen könne? Überhaupt, eine Regierung von unabhängigen Geistern unterliegt in keinem Fall parteipolitischen Einflüsterungen. Eliten und Spezialisten sollten bestimmen. Damit würde der ganzen Bevölkerung gedient. Solcher Couleur verkündigte er noch eine Weile. Das Beste: Er erhielt auch noch Applaus. Und das von Bürgern einer Republik. Unter tosendem Applaus wird die Demokratie zu Grabe getragen. Seltsame Orte gibt es, seltsame Gehirne, seltsame Regionen des Geistes. Hier aber wird in einer trüben Brühe gerührt und der Trank erscheint mir doch recht ungenießbar. Vor solchen Zauberern von Oz ist deutlich zu warnen. Eine geistige Rüstung ist hier von Nöten. Daher, mein guter Freund, lautet mein Lektürevorschlag: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde von Sir Karl Raimund Popper.

Ich sehe Ihr leicht verzerrtes Gesicht regelrecht vor mir. Ja, ein philosophisches Werk und noch dazu in zwei Bänden. Aber keine Sorge, darin finden Sie die Apotheke, um sich gegen Zauberer und falsche Propheten zu immunisieren. Wahrlich eine Doppel-Consommé – das Vitamin C der Hebräer.

Aber jetzt fährt mein SchuSchu-Zug in den Bahnhof von Bellegarde-sur-Valserine ein. Dann geht es mit einem Automobil weiter nach Ferney. Morgen werde ich auf den Pfaden von Voltaire wandeln und mein Gemüt wird befreit von so manch gespenstigem Eindruck aus Zürich.

With cordial regards,

Ozelot

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