Das 1879 von Édouard Manet mit Ölfarbe auf Leinwand gebrachte Gemälde lässt sich auf unterschiedlichste Weise untergliedern. Vor der Ebene des in dunklem Grün gehaltenen Hintergrunds spielt sich die eigentliche Szene ab. Diese wiederum wird von der dunkelblauen Sitzbank in zwei Bereiche unterteilt. Der eine ist beherrscht von der auf dieser Bank sitzenden Dame, adrett gekleidet mit einem hochgeschlossenen Kleid und farblich aufeinander abgestimmten Accessoires. Ihr Blick ist in die Ferne gerichtet, auf etwas außerhalb des Dargestellten. Schräg hinter ihr stehend lehnt sich ein stattlicher Herr mit auffallend dichtem Bartwuchs auf die Bank, auch er vornehm gekleidet mit Gehrock und heller Hose. Beide wirken in ihrer Haltung recht entspannt, sie scheinen sich in der Umgebung nicht unwohl zu fühlen. Die einzige Verbindung zwischen den beiden Personen und somit auch zwischen den unterschiedlichen Ebenen des Gemäldes sind die Hände der beiden. Ihre ruht entspannt und fast lässig auf der Lehne der Bank, während seine zum Zwecke des Abstützens ebenfalls dort und dicht neben der Ihren liegt. Sein ausgestreckter Zeigefinger deutet in Richtung ihrer Hand, erst auf den zweiten Blick ist jedoch erkennbar, dass dieser Umstand der Zigarre in seiner Hand geschuldet ist. Beide tragen goldene Ringe, die, wenn man eine Interpretation als Eheringe annimmt, den Schluss dargestellter Eheleute zulassen.
Bestimmt zu sein scheint die Szenerie vom Gegensatz zwischen räumlicher Nähe und innerer Distanz. Nicht nur zwischen den beiden dargestellten Personen, sondern auch zwischen ihnen und dem Rest des Gemäldes. Das Ehepaar befindet sich in direkter räumlicher Nähe zu den im Hintergrund wachsenden Pflanzen, die durch ihre dunkle Grünfärbung der Szenerie eine Atmosphäre des Fremden, Exotischen und Geheimnisvollen verleihen. Jedoch wirken die beiden Personen meilenweit entfernt von dieser fast schon sexuell aufgeladenen Exotik, als seien sie versehentlich ins falsche Bühnenbild geraten.
Auch scheint sich zwischen den beiden dargestellten Personen trotz nächster räumlicher Nähe keine innere Nähe oder empfundene Verbindung eingestellt zu haben. Beide Blicke wirken abwesend, ihrer schweift in die Ferne, als würde sie ihn nicht einmal wahrnehmen, seiner ist zwar auf sie gerichtet, scheint aber durch sie hindurchzugehen oder eher in die andere Richtung, nach innen gerichtet zu sein.
Die Ruhe, die von diesem Gemälde und im Besonderen von den kontemplativen Blicken der Beiden ausgeht, lässt allerdings auch eine ganz andere Deutung zu. Es scheint durchaus legitim, hier nicht zwei Eheleute zu sehen, die sich über die Jahre voneinander entfernt haben und nur noch nebeneinander, nicht miteinander leben, sondern ein Paar, das durch jahrlanges Teilen des Alltags zu einem Verständnis und einer Emotionalität gefunden hat, das jeder verbalen Ebene entbehrt, das ein Leben miteinander führt, das jedem der beiden den beanspruchten Raum lässt und auf Akzeptanz und Zuneigung beruht. Wir könnten also sowohl Zeug*innen eines sehr innigen und privaten Moments, als auch einer handfesten Ehekrise mit vorangegangenem Eklat sein.
Es ist bekannt, dass Manet hier tatsächlich ein Ehepaar – namentlich die Eheleute Guillemet – Modell gestanden hat, und dass der Meister selbst die beiden immer und immer wieder ermunterte, sich natürlich zu verhalten, zu sprechen, zu lachen und sich zu bewegen. Er scheint mit diesen Aufforderungen kaum Erfolg gehabt zu haben und so ist man beim Betrachten schnell dazu verleitet, Rückschlüsse auf ein etwaiges Eheleben, wenn nicht sogar eine Ehekrise der Guillemets zu ziehen. Fast schon ist der Dialog zu hören, der dem abgebildeten Schweigen vorangegangen sein könnte. Die beiden gehörten zur Pariser besseren Gesellschaft und führten ein Modehaus in der Rue de Faubourg Saint-Honoré, bis heute bekannt für ihre Läden und Geschäfte des gehobeneren Preissegments. Ein mit Spitzen und Bissigkeiten gespicktes Streitgespräch zur Wahl ihrer Accessoires und seiner Bartlänge wäre denkbar, oder hat er gar einer Kundin einen zu aufmerksamen Blick angedeihen lassen? Hat sie nicht bescheiden genug zu Boden geblickt, in Anwesenheit des stattlichen jungen Herrn, der vor einigen Tagen den Laden zum Zwecke des Erwerbs eines Gehrocks betreten hatte?
Genau dieses Spannungsverhältnis des Nicht-Wissens und Vermutens, des Rätselns und der Gegensätzlichkeiten, macht wohl das Betrachten dieses Gemäldes so interessant. Und ist es nicht genau das, was jedem Betrachten von Kunst seine Spannung und Intensität verleiht? Die Anregung der eigenen Phantasie durch Phantasie und Kreativität einer anderen Person. Und der Phantasie setzt zum Glück auch räumliche Beschränkung keine Grenzen. TM/JHS