Ein Amerikaner in ... Edinburgh

Ein Amerikaner in ... Edinburgh

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Willkommen, liebe Leser, zum Start der neuen Serie "Ein Amerikaner in...". Ich werde in jedem Artikel eine einzigartige Stadt vorstellen und beantworte dabei die Frage: Wenn ich das Glück hätte, hier zu leben, was würde ich bei meinem Schneider bestellen?  

So erscheint es mir mehr als angebracht, mit der Stadt zu beginnen, in der ich zurzeit lebe: Edinburgh. Schon beim ersten Betreten zeigt sich die schottische Hauptstadt von ihrer verführerischen Seite. 

Aus den unterirdischen Tiefen des Bahnhofs Waverley begibt man sich direkt in die Mitte der Stadt. Der Blick wird gerahmt von steinernen Monumenten: neben den Anhöhen des Salisbury Crags und des Arthur Seats, den Überbleibseln eines historischen Vulkans, schweift der Blick über die Institutionen der Stadt. Wahrlich, ein fesselnder Anblick.

Mos Eisley Raumhafen. Nirgendwo wirst du mehr Abschaum und Verkommenheit finden. Wir müssen vorsichtig sein. - Obi-Wan Kenobi

Ich habe die Freude, sowohl im wahren Leben als auch in Form dieses Artikels, auf Entdeckungsreise zu gehen und mich dieser Aufgabe entsprechend einzukleiden.

Wie viele andere Hauptstädte auch ist Edinburgh sonderbar: Mit weniger als 500.000 Einwohnern kann es jede bessere Provinzstadt mit ihr aufnehmen. Für einen Ausflug aufs Land braucht es von keinem Punkt aus mehr als 20 Minuten und hinter jeder Ecke wartet ein neuer Ausblick darauf, entdeckt zu werden: an die hügeligen Felder reihen sich Hänge voller Heidekraut. Falls Sie mich nun der Übertreibung beschuldigen möchten – ich bin mit diesem Eindruck nicht alleine! Der Autor Robert Louis Stevenson, geboren in Edinburgh, beschreibt eine ähnliche Widersprüchlichkeit: „Halb Hauptstadt und halb Landstädtchen, die gesamte Stadt führt ein Doppelleben; Großenteils das Eine und manchmal auch das Andere; wie Der junge König der Schwarzen Inseln ist sie halb steinernes Monument und halb am Leben.“  

Von allen Aspekten dieser Widersprüchlichkeit sticht jedoch die ländliche Anmutung der Stadt ganz besonders heraus. Dies zeigt sich nicht nur in den Parks, deren Farben und wilden Gewächse die vielfältigen Texturen der Tweed-Stoffe reflektieren. Auch die Stadt an sich, die gewaltigen Gebäude, die scheinbar ohne strikte Vorgaben, wie Gestrüpp, entlang der sieben Hügel emporklettern. Auch die Materialien, aus denen Edinburgh erbaut ist, zeugen vom ländlichen Baustil: Die grob behauenen Steine lassen sich kaum vom Geröll unterscheiden, das die Hänge ziert. Diese Stadt erfordert eine Garderobe, die diese Ambivalenz zwischen noch-nicht-urban und noch-immer-ländlich abbildet.

Also zurück zur Ausgangsfrage: Wenn ich hier lebte, was würde ich bei meinem Schneider bestellen?

Als Erstes: Einen Lounge Suit mit einem entspannten Schnitt. Der Stoff wäre ein mittelschwerer Glencheck in hellem graubraun und dunkelbraun. Das Gewicht des Stoffes sorgt nicht nur dafür, dass der Anzug besser fällt; er eignet sich auch ideal für das feucht-windige Klima Edinburghs.

Der Schnitt wäre doppelreihig, orientiert am drape cut der 30er Jahre, mit leicht überschnittener Schulter. Dazu ein breites Revers (für meinen Geschmack ohne Knopflöcher), eine weitgeschnittene Hose und eine recht lange Jacke. Diese spielerische Abwandlung der ursprünglichen Silhouette des drape cuts würde ich mit Oxfords aus Cordovan, einem weißen Hemd mit Kentkragen und einer gestrickten schwarzen Seidenkrawatte kombinieren.

Windowpane, irgendwer?!

Als nächstes würde ich zu Tweed greifen. Britische Stoffe sind weltweit bekannt für ihre besondere Qualität. Langlebig, über Jahre verfeinert und meist in konservativen Mustern und Farben erhältlich, macht nicht nur die Savile Row Gebrauch von diesen Tüchern. Sie erfreuen sich bei Schneidern auf der ganzen Welt großer Beliebtheit. Einige Stoffe sind stark verbunden mit bestimmten Regionen des Vereinigten Königreichs: Kammgarne kommen häufig aus Huddersfield und Flanelle zunehmend aus Somerset. Auch Schottland produziert regionaltypische Gewebe: Tweeds und Kaschmir.  

Schottische Tweed-Stoffe sind einzigartig und sogar gesetzlich geschützt. Das bekannteste Beispiel ist das Harris-Tweed. Es wird noch heute auf einer kleinen Inselkette vor der Westküste Schottlands produziert. Die Stoffe werden traditionell auf handbetriebenen Webmaschinen, in den Häusern der Anwohner, hergestellt; Manufakturarbeit par excellence, die an anderer Stelle von Industrialisierung und Mechanisierung vollkommen verdrängt wurde. Tweed-Stoffe von der Insel Harris sind so einzigartig, dass kein anderes Gewebe den Namen Harris-Tweed tragen darf. Sollten Sie also jemals in den Genuss kommen, Edinburgh zu besuchen, führt kein Weg am Harris-Tweed vorbei.

Die Tweed-Jacke würde ich als Einreiher mit drei Knöpfen und fallendem Revers bestellen. Das Tweed selbst wäre gewebt in einem Fischgrätmuster, in grün und rostbraun, gesprenkelt mit bunten Farbtupfern. Als Hommage an den ursprünglichen Einsatz des Tweeds als Jagdbekleidung hätte die Jacke aufgesetzte Pattentaschen.  

Tweedy needy.

Passend dazu wäre eine Hose aus graubraunem Kavallerietwill mit Bundfalten, Umschlag und zwei Gesäßtaschen. Das Hemd: ein Button-Down aus hellblauem Oxford-Stoff würde ich mit einer dunkelblauen Krawatte aus Kaschmir (selbstverständlich schottischen Ursprungs) kombinieren.

Der dritte Anzug macht sich am konservativen britischen Stil zu schaffen: anthrazitgraues Flanell. Da ich leider nicht das ganze Jahr in Pubs, Cafés oder Museen verbringen kann, braucht es einen Anzug, der für den Arbeitsplatz genauso gut geeignet ist wie für nahezu jede andere Aktivität. Trotz ihres essenziell britischen Charakters muss ich Nadelstreifenanzüge leider ausschließen. Sie erinnern mich an Halloweenkostüme für Gangster der 1920er und an zwielichtige Geschäftsmänner der 1970er Jahre. Mein Vorschlag wäre also ein schlichter, einfarbiger Flanellanzug ohne Schnickschnack. Die Wahl dezenter und klassischer Materialien versichert, dass Schnitt und Stil ein Leben lang halten.         

Der Schnitt sollte dementsprechend auch konservativ gehalten sein: doppelreihig, mit einem breiten Revers, leicht überschnittener Schulter und einer strukturierten Brustpartie. Das Ganze wird mit klassischen Details versehen: zwei Schlitze, keine Billetttasche und auch hier wieder ohne Knopflöcher im Revers. Die Hose verfügt über Bundfalten und einen Umschlag. Das Hemd, schlicht und weiß, getragen mit einer dunkelbraunen Krawatte aus Wildseide, um die Textur des Flanells aufzugreifen. Komplettiert wird das Outfit durch schwarze Oxfords. Dieser Anzug vereint nicht nur Referenzen an Traditionen britischer Kleidung, er bietet, ganz ähnlich wie der Tweed auch, Schutz vor den widrigen Wetterbedingungen Edinburghs.

Classy classic.

Soweit fürs Erste. Aber halten Sie die Augen offen – die nächste Stadt wartet bereits. Bis dahin. YYS/JHS/MM

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