Ein Amerikaner in London

Ein Amerikaner in London

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London. Was kann ich Ihnen zu dieser Stadt noch erzählen?

Für Freunde der klassischen Herrenmode ist London geradezu ein Wallfahrtsort. Keine andere Stadt kann diesbezüglich mit der Hauptstadt des Königreichs mithalten. Doch alle Ecken und Enden Londons, die uns Liebhaber und Enthusiasten begeistern, wurden bereits bis ins kleinste Detail beschrieben. Die Pilgerfahrt zur Savile Row haben wir vermutlich alle hinter uns. Wir kennen die Straßennamen – Old Burlington Street, Sackville Street – und die sakralen Orte, die sie umgeben. Wir kennen die Arkaden und wissen, wo wir stehen bleiben müssen für einen Blick in den Showroom von George Cleverley. Uns ist bewusst: Edward Sexton ist inzwischen nicht mehr auf der Savile Row zu finden, sondern unweit davon entfernt in Knightsbridge. Auch Anderson & Sheppard haben ihr ursprüngliches Geschäft auf der Row aufgeben müssen.

Das alles muss ich Ihnen vermutlich nicht erzählen. Warum also, verehrter Leser, sollten wir uns noch einmal dem Thema London widmen? Was auch immer ich Ihnen noch sagen kann, Sie kennen es wahrscheinlich bereits aus den Beschreibungen von begnadeteren Köpfen.

Ich möchte mich hier, zu Ihrem Vor- oder Nachteil, nicht den alten Jagdgründen der Herrenmode-Enthusiasten widmen. Stattdessen werde ich Sie behutsam aus den wohlbekannten Gefilden Mayfairs entführen – weg von den selbsternannten Gents, die wie lebendige Pylonen für Selfies posieren und weg von übereifrigen Verkäufern – hinaus in den Rest der Stadt.

So weit, so gut. Womit sollen wir also anfangen? Im Kontrast zu den schmalen, vollgestopften Straßen des Zentrums bestehen die weniger zentralen Stadtgebiete zu großen Teilen aus idyllischen Parkanlagen. Die Grünflächen Londons sind meines Erachtens eines der Alleinstellungsmerkmale der Stadt: Es passiert immer wieder, dass ich soeben noch eine geschäftige Straße entlanglaufe, und hinter der nächsten Kreuzung in einem der hektargroßen Parks stehe – Pferde und Rehe inklusive. In welcher anderen Stadt gibt es das noch?

Begleiten Sie mich doch auf einen kleinen Rundgang durch meinen Lieblingspark: Hampstead Heath – im Norden der Stadt. The Heath, wie die Londoner sagen, ist so weitläufig, dass schnell der Eindruck entsteht, man wäre auf dem Land. Obgleich diese Annahme ein Trugschluss ist (der wahre Ausflug aufs Land folgt, sobald ich in den Ritterstand erhoben wurde und das alte Anwesen in Hampshire klar mache), eine angemessene Garderobe ist dennoch angesagt:

Ich empfehle eine Jacke aus braunem Donegal-Tweed mit 3-roll-2-Knöpfung, aufgesetzten Taschen und bunt gemischten Garnen, so dass sie – bei näherer Betrachtung – wie ein Kaleidoskop aussieht. Dazu eine Hose aus Cavalry-Twill in Khaki mit doppelten Bundfalten und Umschlägen. Zum Vervollständigen des Outfits trage ich: braune Derbies, ein weißes Hemd aus Oxfordstoff mit button-down-Kragen und eine gestrickte, dunkelbraune Krawatte aus den 60er Jahren.

Vielleicht sagt Ihnen das ländliche Leben aber gar nicht zu? Wir lassen den Heath hinter uns und ziehen weiter in den Stadtteil Hampstead. In direkter Nähe zur U-Bahn-Station gibt es einen fantastischen Buchladen mit echten Raritäten. Mein erstes richtigesBuch kaufte ich dort. Von den Metaphern verstand ich keine einzige – und ich bin überzeugt, dass das ganze Ding nur aus Metaphern besteht – aber die Atmosphäre in dem kleinen Lädchen war so einladend, dass ich einem Kauf unmöglich widerstehen konnte. Darüberhinaus ist das Stöbern in verstaubten Bücherregalen ein Zeitvertreib, für den sich nur die allerschönsten Umgebungen eignen. Denken Sie an einen begnadeten Golfer – der würde sich auch nicht mit weniger als dem perfekten Green zufriedengeben.

Für mein kleines Spiel habe ich – genau wie die Golfer – eine angemessene Uniform entwickelt: Ich trage einen navyfarbenen Zweireiher mit 6x2-Knöpfung und schmalem Fischgrätmuster. Dazu schwarze Oxfords und, um dem Farbspektrum treu zu bleiben, ein hellblaues Hemd und eine blaue Krawatte mit Krocketschlägern. Das mit dem Golf war eine Lüge, ich bevorzuge Krocket.

Nun, verehrter Leser, bisher waren Sie ein hervorragender Wegbegleiter. Wir haben es geschafft, den Versuchungen von Mayfair, Soho und dem restlichen Stadtzentrum zu widerstehen. Einen gebührenden Abschluss haben wir uns mehr als verdient. Werfen Sie sich in Schale! Es geht mit der Northern Line von Hampstead Richtung Covent Garden zu meinem Lieblings-Fischrestaurant.

Wie sollten Sie sich für den krönenden Abschluss kleiden? Meines Erachtens erlauben solche Gelegenheiten nur eine einzige Garderobe: Black tie. Meine Empfehlung für den Abend in Wien werde ich an dieser Stelle jedoch nicht wiederholen. Stattdessen greife ich diesmal zu einem einreihigen Abendanzug mit steigendem Revers. Die Tasche ist selbstverständlich ohne Patte und am Rücken gibt es keine Schlitze. Dazu eine Hose mit weitgeschnittenen Beinen, eine Weste und schwarze Oxfords. Für opera pumps konnte ich mich noch nie begeistern. Aber: Unabhängig von den persönlichen Präferenzen, ein Black-tie-Outfit sorgt stets für einen eindrucksvollen Auftritt.

Da wären wir also: Wir haben den ganzen Tag in London verbracht, und das ganz ohne irgendein Popup auf der Savile Row zu besuchen, ein Foto mit den Guards am Buckingham Palace zu schießen, oder eine der vielen überteuerten Bars zu besuchen – und obendrein sahen wir dabei auch noch umwerfend aus. In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal! NWW/YS/MM/JHS

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