Berlin-Moabit, 29. Juli 2019. Wie einfach das Leben doch nur wäre, hätte man sich vor gut 20 Jahren für die entspannte Laufbahn als Richter entschieden. So wären uns auch viele Auseinandersetzung mit den lieben Eltern erspart geblieben. Und wir hätten die letzten zwei Dekaden jeden Morgen einfach eines unserer zwanzig bis dreißig weißen Hemden aus dem Schrank genommen und dazu die eine weiße Krawatte umgebunden. Es wäre so einfach gewesen! Aber naja, jetzt ist man nun mal Strafverteidiger geworden. Überraschenderweise – und entgegen den vielen Warnungen des Vaters – ist man sogar der Sozialhilfe und der Depression entgangen. Soweit so gut. Allerdings steht heute mal wieder ein Besuch im Kriminalgericht Moabit an und es stellt sich die entscheidende Frage: Was ziehen wir an?
In Erwartung des letzten Prozesstages und der damit verbundenen großen öffentlichen Aufmerksamkeit, die unserem Plädoyer zukommen wird, gestaltet sich diese Frage noch einmal deutlich schwieriger als sonst schon. Anders als so manchem geschätzten Kollegen, ist es uns nicht egal, wie wir vor die Reporter von Spiegel TV & Co. treten. Die Berliner Zwanglosigkeit ist zwar auch in den Gerichtssälen status quo, aber auch hier gilt: Nur weil es alle machen, muss es noch lange nicht gut sein. Wenn wir es schon mal ins Fernsehen schaffen, wollen wir uns doch nicht mit schiefem Schlips oder gar dem zweitbesten Anzug sehen lassen.
Deshalb wählen wir einen absoluten Klassiker: Mittelgraues Fresco von Hardy Minnis. Er eignet sich ideal für warme Frühlings- und heiße Sommertage. Der hochverzwirnte, lose gewebte Stoff lässt jeden Luftzug passieren. Dadurch sind wir auch für die liebste Taktik der Staatsanwaltschaft – die Sonnenseite des unklimatisierten Gerichtssaals der Verteidigung zuzuordnen – gewappnet. Des Weiteren ist die Farbe des Anzugs ideal für den Sommer. Das helle Grau reflektiert die Sonne und heizt sich nicht so schnell auf wie dunkle Stoffe. Noch dazu wirkt der Stoff unter blauen Himmeln sommerlich hell. In Innenräumen ist der Anzug hingegen seriös tiefgrau. Diese Seriosität greifen wir bei der Stilisierung des Anzugs auf: ein klassischer Zweireiher. Zwei Taschen und eine Tickettasche betonen zusammen mit den zwei hohen Rückenschlitzen die Taille. Das alles sieht man zwar nicht unter der Robe, aber vor den Fernsehkameras wirkt der Fresco-Anzug wunderbar staubtrocken.
Unser Ziel ist es zwar, dass uns die Richter an unseren Lippen hängen, das muss aber nicht heißen, dass wir in schwarz-weiß auftreten müssen. Schließlich ist es Juli und als Anwalt steht uns frei, etwas Farbe zu wagen. Das Hemd, welches wir heute zum Anzug wählen, hat deshalb einen breiten auffälligen Streifen in einem kraftvollen Mittelmeerblau. Das Hemd kommt unseren geliebten Multistripe-Designs von Thomas Mason schon sehr nahe, aber der große Abstand zwischen den Streifen macht es doch sehr dezent. Deshalb haben wir es nicht, in der bei uns im Allgemeinen beliebten Konfiguration, mit abgesetztem Kragen und Manschetten bestellt, sondern in einheitlichem Stoff mit elegantem Zee Jerman-Kragen.
Mit diesem schönen Blauton haben wir uns gleich die nächste Herausforderung aufgebürdet; denn dazu passen unzählige Krawatten. Wären wir nicht vor Gericht, würde sicherlich eine zitronengelbe Krawatte mit floralem Muster zur Jahreszeit passen. Doch für unser großes Plädoyer wäre es sicherlich angebracht, etwas dezenteres zu wählen. Man muss nicht gleich die marinefarbene Grenadine-Krawatte aus dem Schrank kramen; eine fliederfarbene Jacquard-Krawatte macht einen hübschen Knoten und glänzt wunderschön vor dem matten Fresco-Stoff. So kommt unser Mandant sicherlich mit einem blauen Auge davon. JoLo/YS/MM