Merk dir, du Schaf, weil es immer gilt:
der Photograph ist nie auf dem Bild.
Wie so oft hatte der selbsternannte Schulmeister der Nation, Erich Kästner, mit dieser Aussage recht. Es gibt viele Photos, die wir alle kennen, aber oft haben wir nicht die leiseste Ahnung, wer hinter der Kamera stand. Diese neue Reihe befasst sich mit genau diesen Menschen – Und Blitz!
Zu Beginn geht es um einen Photographen, der die Inszenierung beherrschte wie kein zweiter: Cecil Beaton. Er entstammt der britischen Mittelschicht und war in den 1920er Jahren Teil einer Gruppe junger Intellektueller und Aristokraten, die nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs das schöne Leben in Frieden zelebrierten – den Bright Young Things. Sie veranstalteten regelmäßig legendäre Festivitäten: die sogenannten Fancy Dress Parties.
Vielleicht waren diese Veranstaltungen eine Inspiration für Beatons frühen Photographien. Die glamourösen Settings und die aufwändig drapierte Kleidung. Beaton arbeitete oft mit Spiegeln und Reflexionen, die seinen Werken etwas verträumtes, fast schon surrealistisches verleihen. Dabei sind seine Photographien keineswegs oberflächlich, vielmehr zeigen sie die Schönheit der Sujets. In den 1930er Jahren begann Beaton für Modemagazine, wie Vogue und Harper’s Bazaar zu arbeiten.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, kehrte er nach England zurück und begann eine Reportagereihe in Londoner Krankenhäusern. Zu dieser Zeit wurden seine Arbeiten schlichter und es zeigte sich, dass Beaton mehr als nur der Photograph der High Society war. Die 1960er und 1970er Jahre brachten einen Wandel: Beaton widmete sich wieder mehr der Porträtphotographie, allerdings sind diese Aufnahmen weniger verspielt als seine frühen Werke. Sie zeigen seine Modelle in ihrem natürlichen Umfeld. Unter ihnen waren zahlreiche Künstler und Prominente: Mick Jagger, Twiggy und David Hockney. Auch Queen Elizabeth II. porträtierte er regelmäßig – er war seit 1937 der offizielle Photograph des Königshauses.
Beaton war zweifellos ein Ästhet und das Photographieren war nicht sein einziges Talent. Er gestaltete Kostüme und Bühnenbilder für zahlreiche Theaterproduktionen und erhielt für seine Arbeit an My Fair Lady sogar einen Oscar.
Seinen Photos nicht ganz unähnlich, erinnert mich sein Kleidungsstil an das 19. Jahrhundert. Dreiteilige Anzüge in lauten Farben – grüne oder grau-gold gemusterte Stoffe und dazu überlange Kragen, die seine Körpergröße unterstrichen. Seine Westen trug er gerne etwas zu schmal, um seine schlanke Taille zusätzlich zu betonen. In den 1970ern war er – ganz im Sinne des Zeitgeists – in Schlaghosen und seidenen Halstüchern zu bewundern. Er muss wirklich ein bunter Hund unter den grauen Mäusen der Londoner City gewesen sein. Dabei wirkte er niemals geckenhaft. Trends nahm er auf, setzte sie aber entsprechend seiner ästhetischen Vorstellungen von korrekter Kleidung, mit gezielten Übertreibungen, um.
Falls wir die Ehre hätten, ihn auszustatten, müssten wir also eine Melange aus Understatement und Flamboyance erschaffen und in einer gemeißelten Silhouette vereinen – na wenn es sonst nichts ist. Mein Vorschlag: ein dunkelgrüner Dreiteiler aus Cord mit steigendem Revers, eine enge doppelreihige Weste und eine hochsitzende Hose mit Bundfalten und Umschlag. Unser feuchter Traum wäre natürlich sein legendäres Hasenkostüm, aber das lässt sich mit unseren Mitteln leider nicht so einfach reproduzieren. Beaton verstand es, andere in Szene zu setzen, war aber auch ein Meister der Selbstinszenierung. Es gibt wohl nur wenige, von denen mehr Selbstportraits existieren als von ihm – und so kann sich auch der Schulmeister mal irren. TG/YS/MM