Flanellhemd und Kordhose: Können Sie sich an irgendeinen Trend erinnern, der sich so schnell durchgesetzt hat? Ich auch nicht. Und das obwohl es mich während der bisherigen Lockdowns in das Langzeitexperiment „Landleben“ katapultiert hat; ohne die frische Luft und die angenehme Ruhe – versteht sich. Es scheint als wären wir demnächst wieder verdammt, unsere Existenz auf die eigenen vier Wände zu beschränken. Zur Abwechslung gibt es dann wieder ein paar Spaziergänge durch die Stadtnatur – wenn man sich zuhause gegenseitig nicht mehr erträgt. In glücklichen Fällen dürfen Arbeitsstätten noch aufgesucht werden, aber ansonsten führen wir ein mehr oder weniger idyllisches Landleben. Was zuvor eine romantische Idee junger Familien aus dem Prenzlauer Berg war, ist von einem Tag auf den anderen wieder Realität geworden. Selbst für diejenigen, die bisher jeden Stadtpark gemieden haben.
Doch was machen derweil unsere Freunde im Kleiderschrank? Der graue Flanellanzug sehnt sich nach einem Barbesuch, der marineblaue Pin-Stripe wünscht sich ein mehrstündiges Business-Meeting und unser Smoking fühlt sich völlig vernachlässigt. Zeit also, den Schneider-Notruf zu wählen und schnellstmöglich neue sartoriale Standards einzuführen. Der Schneider meines Vertrauens wird sicherlich wissen, wie die Lücke zwischen Morgenrobe und Nachthemd zu schließen ist.
Was wird uns also von der anderen Seite der Leitung empfohlen? "Landleben?! Da gehen wir gleich in die Vollen. Fürs Hemd: das größte Karo, das im Regal zu finden ist!" Dieses große doppelte Windowpane-Karo in grau und weiß auf weinrotem Untergrund überzeugt direkt. Weinrot ist sowieso meine liebste Farbe für den Winter. Sie lässt sich herrlich kombinieren, steht jedem gut und verströmt eine gewisse royale Eleganz.
Die gekreuzten Karos in unterschiedlicher Größe geben dem Ganzen – neben der freizeitlichen Komponente, die wir uns im trauten Heim erlauben dürfen, eine gewisse Dynamik; alleine schon, weil sie unterschiedlich breit sind. Folglich wählen wir einen Button-Down-Kragen mit einem wunderschönen Schwung. Dazu passt eine Manschette mit drei Knöpfen. Die macht sich besonders gut, wenn man auch mal eine Jacke überwerfen muss. Was mich aber wirklich überzeugt, ist das Baumwoll-Flanell: Es lässt mich einerseits an bessere Zeiten denken, andererseits freue ich mich umso mehr, dass ich mich jetzt rund um die Uhr in mein geliebtes Flanell schmiegen kann. Um dem liebgewonnenen Landgefühl vollumfänglich gerecht zu werden, empfiehlt der Schneider dem Hemd zwei Brusttaschen mit Knopf hinzuzufügen. So wird aus dem Hemd schon fast eine Ersatz-Jacke.
Am anderen Ende der Leitung ein leichtes Räuspern: "Dazu passt eine feine goldbraune Kordhose. Hochgeschnitten, mit Umschlag, zwei Bundfalten – sehr bequem und genau das richtige für Spaziergänge." Als zusätzliches Accessoire habe ich einen feinen schwarzen Krokodilledergürtel mit goldener Schnalle ausgesucht, der einen interessanten Kontrast zum ansonsten rustikalen Auftritt bietet. Außerdem passt er gut zu meinen schwarzen Derbies – zumindest zum Einkaufen muss das Haus ja noch verlassen werden. Zufrieden lege ich den Hörer auf und schaue voller Vorfreude dem nächsten Lockdown entgegen. JoLo/YS/KP