Mr Lushs Sohn fährt mit viel Tempo in den für Taxis vorgesehenen Bereich von Heathrows Terminal 5 und hält abrupt an. „Alle raus jetzt! Ich hab' noch 2 Minuten, bevor ich einen Strafzettel bekomme... und du, wie versprochen: 100 Kröten, Cash auf die Kralle und zwar jetzt! Ich seh's nicht mehr ein, dich – weil der öffentliche Nahverkehr zum Flughafen nicht standesgemäß ist – jedes Mal zum Flughafen zu fahren!“ Während die Bodyguard-Wombats in Windeseile Mr Lushs Koffer ausluden, zückte dieser in scharfer Hollywood-Manier sein Portemonnaie, zog 100 Pfund heraus – de facto war das tatsächlich das einzige Geld, das er für den Trip eingeplant hatte; mehr war nicht drin – und drückte es seinem verkommenen Sohn in die Hand. Dieser scherte schon einen Wimpernschlag später kopfschüttelnd unter Absingen schmutziger Wörter sofort nach rechts aus und beschleunigte den dreifach „vererbten“ und gut verbeulten Jaguar aus den frühen 90ern Jahren hoch. „Ist ja nicht so, als ob Du sonst so viel zu tun hättest.“, denkt sich Lush, als er noch kurz dem ehemaligen Auto seines Cousins Charles, dann Charles‘ Gärtners, dann Charles‘ Gärtners Mutter nachblickte.
Genug aufgeregt; auf zum Check-In. Die kleine Armadilla an vier Wombats – alle natürlich in schwarzen einreihigen Anzügen, weißen Hemden, schwarzen Krawatten mit dunklen Sonnenbrillen und Walkie-Talkies uniformiert – flankierte Lush, während er seinen kleinen und großen Trolley, bei denen jeweils nur eine anstelle von zwei Rollen intakt waren, hinter sich gen Check-In North-East her zog. Mr Lush bereute seine heutige Kleidungswahl ein wenig: der SEHR alte, dunkle, 3-knöpfigen Fresco-Nadelstreifen war sicherlich „zeitlos“ chic; allerdings auch „zeitlos“ dick, „zeitlos“ schwer und „zeitlos“ warm. Auch das mit ihm gepaarte fliederfarbenem Hemd - des Alters wegen bereits mit der zweiten Garnitur an weißen Kragen und Manschetten – hatte das Manko, dass der Kragen ehrlichweise vor 20 Jahren deutlich besser gesessen und weniger gedrückt hätte. Ein Lichtblick war jedoch Lushs gezackte lila Krawatte, die wahrscheinlich mitsamt seiner hochpolierten, alten schwarzen Horsebit-Loafer von George Cleverish – ein Geschenk des Dachbodens seines verstorbenen Großonkels George – genug Aufmerksamkeit auf sich zogen, um am Check-In von seiner verschwitzten Visage abzulenken. Laute Kratzer im Fußboden der Haupthalle Heathrows hinterlassend, kam Lush endlich am Check-In North-East an und schnaufte Lush zur Mitarbeiterin: „Guten Tag.“ Die vier Wombats grüßen mit kurzem, militärischem „Madam.“ „Zielort, Sir?“ – „Berlin.“
Ja, Berlin. Mr Lush graust es ein wenig vor der Geheimmission, die ihm die Lady in Red aufgeben hat. Er solle die deutsche Hauptstadt besuchen; und hatte so sehr auf eine Mission in der Kabirik gehofft. Steeldrums, helle Leinenanzüge, Rum-Punches … das wäre eher nach seiner Facon gewesen. Nicht dass er die Wahl gehabt hätte, abzulehnen, aber seine Laune hatte sich ein wenig verbessert, als sie ihm den genauen – letztlich doch recht einfachen – Plan seiner Mission erklärte: Am Berliner Flughafen angekommen, würde ein Otter namens Peter – Lush würde ihn sofort erkennen – ihn abholen und zu seinem Hotel in der Stadt befördern. Dort frisch gemacht, würde Lush sich später in einem Restaurant mit einer jungen alten Bekannten zum Abendessen treffen, die ihm dann im Laufe des Abends einen Schlüssel zukommen lassen würde. Den müsse er dann nur wieder mit nach London bringen und bei ihr abgeben - Feierabend. Einen weiteren Tag wurde zur Sicherheit drangehangen – falls etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommen sollte; man weiß ja nie. Ja, das klang machbar; und natürlich war der Hinweis mit der „jungen alten Bekannten“ ein großartig motivierender Köder, denn unser lieber Thomas Lush kann sich an einer Hand abzählen, wer das sein könnte; und er hoffte inständig, dass es nicht eine der anderen vier Finger-Optionen sei: Mr Lush war auf vieles nicht stolz in seiner Vergangenheit, aber besonders über diese vier Ereignisse wirft er gerne den schwersten Mantel des Schweigens. In der stillen Hoffnung auf ein schönes Abendessen mit einer alten Verflossenen loderte sein Testosteronspiegel in Heathrows Lounge Süd gut auf. Ganz beschwipst davon – oder vielleicht aber auch von dem Tumbler British FlyWays‘ Single Malt -, dachte er sich: „Ach, das hätte ja am Ende schlimmer kommen können. Das wird bestimmt eine fabelhafte Mission und dann mal schauen, welche Mission die Lady in Red für mich noch in Petto hat.“
Naja, jedes Hamsterrad sieht (erstmal) aus wie eine Karriereleiter. Das dachte er sich auch, als er hinter den ganzen klassischen Kamikaze-Karrieristen in der Boarding-Gruppe 2 am Gate nach Berlin stand. Ohne den leisesten Anflug von Neid stand er mit seinem Handgepäcks-Trolley - mit nur einer Rolle - hinter den beschriebenen Zeugen Rimowas, von denen jeder jeweils in seinem Kommunionsanzug von Zeckna den König der Deutschländer mimte. Vielleicht doch keine gute Idee, das geliebte Königreich zu verlassen. Während die ZRs noch SEHR wichtige Funksprüche kurz vor Abflug an ihre Büros in Berlin, Frankfurt, Hamburg oder München senden mussten, warteten die Wombats geduldig in der gläsernen Check-In-Area, um dann nach erfolgreichem Start des Missionsflugs nach Berlin ihren Funkspruch an die Hauptzentrale zu senden: Das Nest ist jetzt im Adler.
Abflug. Lush dachte kurz an seinen Sohn und es wurde ihm ganz elend: Noch nicht mal sein Hemd kann der Junge in seine abgewetzte Kordhose stecken! Ein Gin Tonic muss her – der echte Schmerz (und die Leber) eines Geheimagenten Ihrer Majestät. MM