Mr Lush S4E3T1 - Fünf Raben

Mr Lush S4E3T1 - Fünf Raben

von MM I Manager Online

Was Mr Lush an Berlin direkt gefiel, war, dass die Stadt das Ausgehen liebte und ein Faible für die Farbe Schwarz hatte. Nicht, dass ihm seine Londoner, farbenfrohe Hemden- und Krawattengarderobe nicht gefiel, allerdings war die Kombination von Nacht und Schwarz ein unmissverständliches Startsignal für seinen Lieblingsdresscode Black Tie.  Einer der Gründe, dass er für nur zwei Nächte Aufgabegepäck gebucht hatte, war, dass er gleich drei dinner jackets inklusive Hosen und verschiedene Paare von passenden Schuhen mitnehmen wollte, um in dem vor sich ihm auftuenden Gemälde der Stadt perfekt hineinzumorphen.  Nach dem wohltuenden Bad mit musikalischer Begleitung zückte er sein Rasiermesser mit Wechselklinge – auch ein Grund für das lästige Aufgabegepäck - und begann sich mit seinem Rasierpinsel in aller Seelenruhe seine babyweiche Haut einzuschäumen.  Während des Einpinselns bat er die Musikanlage, „The Wanderer“ von Dion zu spielen.  Mit (mehr oder weniger) lässigen Hüftschwüngen positionierte er den Rasierspiegel schön nah an sein Gesicht und begann jede perfekt ausgeleuchtete Stelle seines Gesichts mit der Rasierklinge in sanften Strichen zu massieren.  Er schloss das Ritual mit zehn kalten Wasserstößen in sein Gesicht ab und tupfte sich mit dem weichen, warmen, roten Handtuch neben dem Waschbecken das Gesicht ab.  Nun ein bisschen Talkum-Pulver, ein sanftes Aftershave und eine Tagescreme.  Die Augenbrauen und die Nasenlöcher wurden noch kurz auf Ausreißer überprüft, bevor die Zähne mit Bürste und Zahnseide geputzt wurden.  Diese Routinen sind einer der wenigen Momente von Lush, in denen er vollends zur Ruhe kommen kann – und nicht mehr den Sirenen seiner tausenden Gedanken verfällt.  Mit zwei Haarbürsten – eine links, eine rechts – wird nun die Tolle gezähmt und über einen passenden Duft für den Abend sinniert – ein weiteres Argument für das Aufgabegepäck.  Zwei Spritzer seines Lieblings-Zypressen-Geranien-Tonkabohnen-Duftes; diese würden ihre Wunder vollbringen. 

Aus Bewunderung hochgezogene Augenbrauen hießen ihn an der Hotelbar willkommen.  Lush hatte sich für den doppelreihigen Smoking seines Halbbruders Ferdinand entschieden und wollte ein Glas Champagner bestellen, bevor er sich auf den 15-minütigen Spaziergang zum Restaurant machen würde.  Stumm liefen die letzten Ausläufer der Nachrichten im Fernsehen; ein Blick auf den Wetterbericht sagte ihm, dass Berlin im späten Winter nicht seine Lieblingsstadt werden würde.   Der eifrige Kolibri im Leder-Harness – Gott, ist das alles manchmal alles lächerlich, wenn die Klamotte nur getragen und nicht gefühlt wird; alles Karneval!, denkt sich Lush – war flott und brachte das Glas Lush.  Dieser lehnte lässig und typisch englisch mit Hand in der Jackentasche am Tresen und hatte schon die erste Zigarette gezückt, als er die Einladung durch die Aschenbecher gesehen hatte – der Teil gefiel ihm an Berlin.  Nachdem der erste Schluck genommen und der erste Zug gezogen war, dachte er: „Heute wird ein guter Abend.“

Der Weg zum Restaurant war kalt und windig, die zwei bis drei Wegzigaretten wurden mit Mühe und Not in gerade zu Pass kommenden Hauseingängen angesteckt.  Er schlug und hielt mit der linken Hand den leichten Top Coat zu und zog genüsslich gierig an den deutschen Glimmstängeln.  Der Puls und das Endorphin kamen auf Trab.  Lush beobachtete die Vorbeischreitenden mit Neugier.  Er strukturierte die Passierenden in drei Kategorien: Typisch Deutsche, Berliner und verlorene Individualisten.  Kategorie 1 zeichnete sich durch farbige Funktionskleidungsuniformen aus – für alles jederzeit vorbereitet außer das gesellschaftliche Leben.  Kategorie 2 gab relativ wenig auf sein Auftreten oder tat zumindest so; fand aber so - wie blinde Hühner es manchmal tun – auch Körner.  Die verlorenen Individualisten – natürlich die mit Abstand kleinste Gruppe; vielleicht hatte er schlussendlich zwei auf seinem Weg gesehen – fühlten sich großstädtisch; forderten fast schon Qualitäten von Berlin ein, die man sonst nur in New York, Mailand, Paris oder London finden kann, müssen aber feststellen, dass das Gros an Menschen ihre Versuche nicht bewundert, feiert oder sogar als selbstverständlich darstellt, sondern ähnlich wie Kiki und Kuku in ihrer derzeitigen, nervtötenden Adoleszenz-Phase mit „Joa.“, „Gut.“ und Schulterzucken reagiert.  Interpretation der Gesamtsituation nach Mr Lushs flotter Küchenpsychologie – losgestoßen von einem Glas Champagner: nie komplett richtig, aber auch nie komplett falsch.

Angekommen am Restaurant offenbart sich Lush ein prallgefüllter, wuseliger, französisch wirkender Ort mit quirligem Wüstenspringmäuse-Team.  Die Berliner standen und saßen trotz der windigen Kälte draußen und zogen kräftig an ihren Zigaretten, während sie in großen Schlucken ihre Aperitifs verschwinden ließen.  Man wartete auf einen Tisch drinnen, aber ließ es so aussehen, als ob man auf Zigarettenpause wäre; die Köpfe drehten sich, als der Londoner ankam; man lächelte und nickte zu; ein kleines Theater.  Im Ostrich schien es so, als versuche sich jeder mit einem Hauch von altem Geld im Umgang zu umgeben – ob das alte Geld da war oder nicht.  „Klingt nach einem interessanten Duell.“, denkt sich Lush, durchschreitet den Windfang und stellt sich bei einer der Wüstenspringmäuse vor.  Der Tisch werde gleich frei; ob er in der Zwischenzeit ein Glas Champagner haben möchte (?); man wäre dann sofort bei ihm, sobald alles vorbereitet und seine Begleitung anwesend wäre.  Klang nach einem fairen Deal, dachte sich Lush und nickte wie ein Wackeldackel, während er sich überlegte, wie er richtig auf Deutsch hätte antworten können.  Die Wüstenspringmaus verstand und gab ihm durch ein Klapsen auf die Schulter zu verstehen, man könne auch ohne Probleme auf Englisch miteinander.  Lush trabte rückwärts durch den Windfang wieder raus und legte, nachdem er sein frisches, volles Glas auf einem kleinen Beistelltisch abgestellt hatte, eine weitere Zigarette auf seine Lippen und fragte in die Runde nach Feuer.  Eine der Damen war so freundlich, half dem alten, fremden Engländer und zündete für ihn – als wäre es das Normalste der Welt.  Lush zog einmal kurz, bedankte sich und freute sich über die nette Geste – in der Hinsicht irgendwie wärmer als das doch oft kühle London.  Er setzte sich auf einen der kleinen Stühle und rollte sich in die dünne Wolldecke ein, die fein gefaltet auf dem Stuhl lag, und begann nach einem weiteren Schluck und Zug, die Straße zu fokussieren.  Fragen wie „Wann die alte junge Bekannte wohl käme?“, „Ist es die, von der Mr Lush hofft, dass sie es ist?“, „Kommt sie per pedes oder per Taxi?“ und „Wenn zweiteres, muss ich ihr in alter Londoner Art aus dem Taxi helfen oder gehört sich das hier nicht?“ schießen ihm durch den Kopf; ein weiterer Schluck, ein weiterer Zug.  „Der Champagner war gar nicht mal schlecht.“, dachte sich Lush, während er langsam anfängt, in dem Laden wohlzufühlen.  Er hatte immer ein wenig Berührungsängste mit neuen Läden und war deshalb häufig ein Gewohnheitstier; der Laden musste voll sein, ihn in seiner Erkundungsphase in Frieden und ihn seine Macken und Spleene ausspielen lassen; dann sind das Essen und die Getränke fast egal.  Wenn diese wenige-Minuten-lange Testrunde bestanden ist, wird der Laden in sein Herz aufgenommen; die Wüstenspringmäuse hatte die Runde jedenfalls spielerisch bestanden.  Ein Großraumtaxi fährt an und hält; Lush nimmt einen vorletzten Zug und Schluck und schaut gebannt auf’s Taxi; … und ihm fällt ein Stein vom Herzen.  Es war seine alte junge Bekannte aus dem Catoy in London; es würde ein guter Abend werden.

Es gibt Küsschen links, Küsschen rechts.  „Wie schön Dich zu sehen!“, sagt Mafalda.  Sie trägt eine kurze, voluminöse Pelzjacke mit Stehkragen – eine hohe schwarze Schlaghose aus schwarzem Herringbone-Tweed, einen schwarzen Rollkragen, schwarze eckige Stiefeletten mit hohem Absatz; Ihre blonden Haare hat sie hochgesteckt; die Lippen sind rot geschminkt; abgerundet wird der Auftritt von größeren, goldenen, chinesischen Lampions anmutenden Ohrenringen. Sie hat auch schon ein oder zwei Gläser getrunken.  „Das ist ja bestimmt ‚ne halbe Ewigkeit her, oder?!“, wird nachgefragt - sie riecht so elegant.  „Ebenfalls, Mafalda!  Ja, mindestens – fühlt sich aber gerade wie gestern an.  Wollen wir reingehen und fragen, ob unser Tisch bereit ist?“ Sie nickt.  Lush zieht die Tür auf; sein Herz pocht schneller: vielleicht doch gleich noch eine Beruhigungszigarette (?).  Die beide betreten den Vorraum, bevor Lush den Vorhang des Kältefangs aufzieht.  Eine der Wüstenspringmäuse steht sofort da, grinst, nickt, schreit zur nächsten weiter hinten: „Tisch 17, bitte!“ und weist den Weg nach hinten.  Die Mäntel werden abgenommen; Thomas bittet noch um einen kurzen Augenblick, um sowohl Zigaretten als auch Feuerzeug aus dem Mantel in das dinner jacket umzufachten.  Nachdem geschehen, setzt man sich und ohne zu fragen, werden die Champagnertulpen schon wieder gefüllt – „ein sehr eleganter Vorort von Sodom und Gomorrha“, denkt sich Lush. Er schaut sich kurz, um sich einen Überblick über die anderen Gäste zu machen.  Alles von Steckfrisuren, Perlen, Krawatten, Kaschmir und Pelzen über lässiges Kunstpublikum bis hin zu Punks mit elterlichem Hintergrund in der deutschen Automobil- oder Waffenindustrie schien, sich hier zu treffen.  Der Service schien aufrichtig, nett und zuvorkommend, das Essen gut, das Interieur elegant und echt, seine Begleitung zu schön – Mr Lush überlegte kurz sich einmal zu zwicken oder feste gegen die Wand zu schlagen, um zu prüfen, ob das vielleicht doch alles nur Einbildung ist.  London ist so anders.  Da er mit dem Rücken zum Raum sitzt, hatte natürlich keinen kompletten Überblick – und das störte ihn und seine Neugier; das Verlangen nach der herbeigesehnten, nächsten Zigarettenpause keimte.  Thomas konnte sich kaum auf das Wesentliche konzentrieren – zu viele Eindrücke.  Es schnatterte um ihn herum, die Gläser waren am Klirren, die Wüstenspringmäuse sprangen von links nach rechts.  Die einzige Medizin war vor ihm auf dem Tisch: großer Schluck, dann Raus- und wieder Reinzoomen.  Gedacht, getan.  Endlich volle Aufmerksamkeit zurück zur wohlriechenden Mafalda – ob sie jetzt schon vielleicht seit zehn Minuten versucht hat, mit dem Geistesabwesenden ein Gespräch aufzubauen, oder da nur schweigend saß, oder ob es vielleicht nur fünf Sekunden waren, konnte Lush nicht mit Sicherheit behaupten.  Zeit fühlte sich in solchen Räumen manchmal so surreal an und die vielen blinkenden, tütenden, betörend riechenden Sirenen, die von überall her, blitzten, sangen und becircten, waren eine Herausforderung sondergleichen für den Fokus seiner Aufmerksamkeit.  Davon konnte seine Ex-Frau ein Lied singen.  „Wie ist es Dir in letzter Zeit ergangen?“  Es schien als wäre ihr nichts aufgefallen; oder sie kann damit umgehen (?). „Ach, mal so, mal so.  Ich hatte ein längeres Gespräch mit Gott, dem Baseballschläger.“  Eine der Wüstenspringmäuse brachte die Menü-Karten und fragte, ob es Austern zum Start sein dürfen.  Die beiden nickten und baten um eine Flasche Sprudelwasser.  „Oh ok?“, Mafalda guckt verwundert „Und wie war das?“ – „Komisch.  Ich weiß, es ist ein bisschen früh dafür, aber…“ Die Austern kamen an; es wurde nachgeschenkt.  „Vinaigrette?“ – „Ja, gerne.“ – „Du wolltest etwas fragen?“ – „Kann ich auch gleich noch fragen.“  Großer Schluck - auf jeder Seite; Erste Auster wird verschlungen; zweiter großer Schluck.  „Erzähl… Du hast einen Schlüssel für mich?“, fragt Thomas, um sie und sich ein wenig von seiner Nikotin-Ungeduld abzulenken.  „Ja – den geb‘ ich Dir am Ende des Abends.“ Zweiter Auster; dritter Schluck. „Zurück zu meiner Frage…“, setzt Lush an, während die beiden jeweils zu ihrer letzten Auster griffen.  „Rauchst Du immer noch?“ Die Austern werden vernichtet und quasi synchron mit der inneren Seite nach Unten in die mit Eiswürfeln gefüllte Schale gelegt.  „Ja, klar! Dit is‘ Berlin!“ – „Hervorragend.  Lust auf eine Zigarettenpause?“  - „Sehr gerne.“  Der Mund wurde sich abgetupft; die Tulpen wurden erneut gefüllt; der Tisch wurde leicht zur Seite geschoben und Lush half kurz beim Aufstehen und Vorbeischlängeln am Tisch.  Man bewegte sich mit den Gläsern nach vorne und Lush kramte schon in seiner Innentasche, einerseits aus Ungeduld, andererseits um jedem um ihn herum, deutlich zu machen, dass die beiden Rauchen gehen würden.

Dabei fällt Thomas ein Tisch auf:  An diesem wetterten, tuschelten, kicherten und lästerten fünf schwarze Raben.  Eine seltsame toxische Energie umgab den gesamten Tisch und strahlte von ihm ab.  „Ups.“ – Lush muss zu lange gestarrt haben; die Raben haben ihn bemerkt und drehten ihre Köpfe und Blicke zu ihm; er fühlte sich ertappt.  Es verging nun alles wie in Zeitlupe; er spürte, wie ihre scannenden Blicke ihn durchbohrten, auf der Suche nach Stärken und Schwächen.  Binnen in Sekunden war der Auftritt, der Smoking, die Gestik, die Mimik, der Haarschnitt, die Schuhe, die Ausbildung, der Humor, das (mangelnde) Interesse für klassische Musik, die Herkunft, die Ahnen und Urahnen, das Level der Trunkenheit, die Begleitung durchleuchtet und es wurde das Besteck gewetzt.  Diese würde man sich zum Dessert vornehmen.  Die Blicke ließen ab; Lush folgte Mafalda mit zwei großen hastigen Schritten.  „Alles ok?  Hast Du einen Geist gesehen?“, fragt Mafalda.  „Nein, Raben.“ – „Ach die.  Mach Dir nichts aus denen.  Die sind nur gefährlich, wenn Du ihnen Aufmerksamkeit schenkst.  Zwar sozial hochintelligente Wesen und leben von Seilschaften und den Geschichten, die sie über andere in der Hand haben, aber jeder - für sich betrachtet – ist eigentlich nur ein verbitterter Gescheiterter.“ Lush kann Mafalda kaum zuhören – zu sehr kreisen seine Gedanken um die vernichtenden Blicke der Raben.  Mr Lushs Gefühl bezüglich des Ladens veränderte sich schlagartig:  hatte er alles falsch eingeschätzt?  Kann er sich hier gar nicht herzlich und englisch gehen lassen, ohne dass von den Raben Buch geführt wird, um es bei der nächsten fiesen Gelegenheit rauszuholen?  In London gab es auch solche Raben, allerdings war ihre Macht eine kleine – da sie selber ab und zu über die Strenge schlugen, handelte es sich mehr oder weniger um einen Mexican Stand-Off.  Hier allerdings – so Lushs Befürchtung – hatten die Raben nicht ansatzweise irgendein Gefühl für das englisch nächtliche Lebensgefühl und waren stattdessen die kalten berechnenden Preußen, die zwar einerseits Wasser predigten und Wein tranken, aber schlussendlich neidisch auf alle diejenigen blickten, die Freiheit wirklich als solche verstanden hatten.  Lush ist mittlerweile in das Gefühl der Wut getaucht und zündet sich die zweite Zigarette an; „Du erlaubst, dass ich noch eine weitere rauche.“ – „Ja, klar. Du musst Dich wirklich nicht aufregen.  Du mit Deiner Art kannst selbst solche Lügner zum Träumen bringen.“ 

 

Ok, das Kompliment ging jetzt natürlich runter wie warme Butter.  Mit einem Schlag waren alle negativen Gedanken und Teufelskreise weg: Lush krümmte sich vor Lachen – das erste Mal seit langem -, und kriegte sich vor Freude kaum ein und schien damit sogar Leute um sich herum anzustecken.   Die Gläser um ihn herum stießen an, Freude begann die Atmosphäre zu füllen und mit einem weiteren euphorischen Zug an seiner Zigarette brannte auf einmal der Himmel der Nacht.  Lush fiel eine Strähne in die Stirn, er ging zu Mafalda, küsste ihr auf ihren Mund und sagte mit einer Freudenträne in seinem Auge: „Danke, Mafalda.“ Er konnte sein Glück in diesem Moment kaum fassen und anders Ausdruck verleihen.  „Lass uns reingehen!  Ein Hauptgang wartet! Wüstenspringmaus, bitte noch zwei Gläser Champagner!“ 

 

Auf dem Weg zurück in das Restaurant ignorierten beide die Raben.  Nicht weil sie es geplant hatten, sondern einfach weil sie für sie irrelevant waren.  Ob das die Raben nur ärgerte oder nicht, war ihnen ebenfalls gleich.  Man bestellte den Hauptgang – Filet Mignon - in der Absicht in sich zu teilen und wählte ein passendes Glas Rotwein.  Die Konversation suppte entspannt, voller positiver Energie und lachend vor sich hin; Lush fühlte sich wohl an Ort und Stelle.  Die klirrenden Gläser, die ihn umgebenden Dauergespräche und die umhereilenden Kellner-Schritte fügten sich zu einer klassischen Hintergrunds-Fuge zusammen.  Es könnte nichts schöner sein.  Eine weitere Zeitspanne setzte ein, von der Lush nicht sagen konnte, ob sie fünf Sekunden oder 30 Minuten lang war.  Dass jetzt nach Kaffee gefragt wurde, ließ ihn vermuten, dass es eher letzteres war.  Verblüfft nickte er; das Gefühl der Scham kam wieder schleichend zurück.  Auf irgendeine Art und Weise muss er aber gut Konversation gehalten haben; es schien nicht so, dass seine Tischpartnerin gelangweilt wäre.  Die Espressi erreichten den Tisch.  Mafalda schlug vor, ob man noch in eine Bar nebenan gehen wollen würde.  Lush wusste nicht, ob das eine gute Idee sein würde; aber der wunderschönen Frau, die ihren Abend mit ihm verbrachte, einen Vorschlag auszuschlagen, war ihm unmöglich. 

Als Mafalda um die Rechnung gebeten und gezahlt hatte, vergingen nur wenige Momente und die beiden schlenderten Arm-in-Arm rüber zu der benachbarten Bar: dem Lamb Gazer.  Zu Lushs erneuter positiver Überraschung eine kleine Raucherbar.  Sie erinnerte ihn an die unterirdische Bar in London, in die er das erste Mal Kolibris bei der Bararbeit gesehen hatte und im Trinkduell gegen einen von diesen sich gnadenlos blamiert hatte.  Obwohl so nah am Ostrich versprühte der Ort eine ganz eigene Vibration: der Kleidungs- und Sprachstil war generell strenger, die Atmosphäre noch intimer, das Interior auf barübergreifende Kommunikation ausgelegt.  Nachdem die Mantel abgenommen waren, wurden die Turteltäubchen auf eine – wahrscheinlich von Mafalda reservierte - thronende Bank neben dem Tresen verfrachtet und die Lamb Gazer-Kolibris bereiteten in Windeseile die Bar-Situation von Mafalda und Thomas vor: großer Murano-Aschenbecher, Streichhölzer, Getränkewünsche wurden geprüft – keine Karte. „Zivilisation!“, dachte Lush, während schon die nächste Zigarette auf seinen Lippen lag – „Ja, ein Zigarettenabo würde sich wirklich lohnen.“ 

„So – was wolltest Du mich denn eben fragen?“, Mafalda war neugierig.  „Also ähm…“ Die Getränke kamen am an; man sollte abtrinken, es gäbe noch nachzuschenken.  Zucker – wie ein Blitz traf es Lush im Kopf; sein Energielevel veränderte sich grundlegend: der Heckspoiler fuhr hoch, die Anziehung zur Straße war wie magnetisch, der Motor heulte auf und sagte: „Gib ihm.“ -„Entschuldige mich für einen Moment, Mafalda.  Bin gleich wieder.“ Mr Lush drängelte sich zu den Örtlichkeiten, weniger um Wasser zu lassen, sondern um einen kurzen Blick in den Spiegel zu wagen und einmal seine Frage an Mafalda Probe zu sprechen.  Es war gar nicht so, dass er sich nicht traute den Inhalt zu sagen – nicht bei dem Pegel -, sondern dass er wusste, dass auf die richtige delivery ankam.  Wortwahl, Intonation, Satzbau, Humor et cetera perge perge. 

Das erinnerte ihn an eine Geschichte aus Eton: Sein Lateinlehrer ließ ihn bis zum – buchstäblich - Erbrechen vor versammelter Klasse Ovids Metamorphosen im Hexameter vortragen.  Das „das musst Du aber selbst wegmachen.“ hallt noch heute in seinen Ohren nach.

Augen auf: Spiegel, wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre, wäre ich schon längst Millionenerbe. Einsames, langsames Klatschen der Toilettenspinne oben in der Ecke.  Augen zu und durch!

Die Hände gewaschen aus der Toilette herausgeschoben, steht Lush entsetzt vor einer für ihn unerahnbaren Überraschung: der ganze Raum hatte - gefühlt - die Reise nach Jerusalem gespielt; jede und jeder saß jetzt woanders und mit wem anders; natürlich saß die schöne Mafalda noch an ihrem Plätzchen, aber für jemanden, der den Raum gerne vorher scannt - wie Thomas Lush, esq. -, ist das ein mittelschweres Fiasko. Am liebsten würde er nochmal vor den Toilettenspiegel treten und mit der neuen Situation im Kopf proben – aber wahrscheinlich wäre das zwecklos, weil dann die Situation wieder eine andere wäre.  Sich langsamen, rhythmischen Schrittes - gemäß des Spinnenapplaus‘ – durchdrängelnd erreicht Mr Lush die hoffnungserfüllte, über alles thronende Bank.  „Ich habe Dir noch einen bestellt.  Ich dachte, das ist in Deinem Sinne.“ – „Du hast meine Gedanken gelesen.“  Kurzer letzter Pfützenschluck aus dem alten Glas, um den Heckspoiler nochmal zu aktivieren.  „Also – meine Frage: Also - eigentlich sind es zwei … : Vielleicht die einfachere zuerst: Wie … ?“ Die nächste Runde Getränke (– es ist zum Mäusemelken); gerade als der Heckspoiler wieder in Position war.  Natürlich wieder erst einmal abtrinken.  Es wird nachgeschenkt.  „Wenn das Zeug nicht so gut schmecken würde, könnte man fast davon betrunken sein.“  Kippe – mittlerweile waren es Kippen; keine Zigaretten mehr – auf die Lippe gelegt, erst mal Mafalda angesteckt, dann seine selbst. „Also – erste Frage, weil die einfachere: Wie heißt Du eigentlich mit Nachnamen, Mafalda?“ – „Ach, ist das jetzt etwa ein englischer Familien-Background-Check?!“  Mafalda dramatisierte das ganze absichtlich, um Lush in Verlegenheit zu bringen.  „Aber naaaa gut: Mondi.  Aber weißt Du was – die zweite Frage heben wir uns für einen zweiten Ort auf.  Lass kurz austrinken, ich zahle und bestelle ein Taxi.“  Mr Lush nickte - mittlerweile ignorierte er das Reh-Engelchen auf seiner Schulter, ob es jetzt vielleicht nicht genug sei, eh gekonnt.  Ausgetrunken, Mantel drüber, raus an die frische Luft, Zigarette an, Taxi da, Heckspoiler runter, nächstes Abenteuer kann kommen. MM

(Fortsetzung folgt)

9 Kommentare

  • o61ioo

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