Mr Lush S3E1 – Du siehst so gut aus...

Mr Lush S3E1 – Du siehst so gut aus...

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Es ist Samstagnachmittag und Olivier, Kiki und Kuku – die immer größer werden – und ein in Flanellhose, braunem dreiknöpfigem Houndstooth-Jacket und Halstuch gekleideter Lush hüpfen auf Pogo-Sticks – so wie es sonnabendnachmittags nun mal ihre Art ist – auf der Jagd nach einem netten Café durch Notting Hill. Mr Lush ist, nach seiner Genesung im Krankenhaus der Erdmännchen, wieder kerngesund – mal abgesehen von den paar imposanten Narben, die die Tigerklauen von Paul & Maul auf der Brust des Lushs hinterlassen haben... die er aber mit Stolz wie Kriegsmedaillen am Körper trägt. Schon beim Krankenhausaufenthalt dachte er daran, wie er in kommenden Affären – selbstverständlich nur auf Nachfrage – zu gegebener Stunde die Geschichte der Narben erzählen könne. Schon der Gedanke daran beschwipst ihn mit einem Gefühl der Wichtigkeit – dass die Tierrotte außerdem für Lush für ein neues Dinner Jacket bei seinem Buckelschneider zusammengelegt hat, trägt dazu natürlich ebenfalls bei.

Der Ritt auf den Pogo-Sticks erleichtert das Vorankommen durch die – wie jeden Samstag überfüllte – Portobello Road enorm. Lush befürchtete beim ersten Mal zwar, dass das mehr oder weniger erzwungene Platzmachen den Hass der Mitmenschen auf das Vierergrüppchen ziehen würde – so wie damals in Eton, als die Mitschüler ihm immer beim Fahrradfahren Stöcke durch die Speichen steckten –, doch wurde er eines besseren belehrt. Die Flohmarkthändler nutzen die vier Pogoreiter als willkommene Showeinlage gnadenlos aus und grüßen wild winkend und lauthals rufend; sie möchten so das Eis zwischen ihren Ständen und den Interessenten brechen. "Geschickte Verkäufer!", ruft der voranspringende Ozelot zu den drei folgenden. "...an dem nächsten türkisfarbenen Haus rechts! Wer als letzter sitzt, muss die erste Runde bezahlen!" Lush stöhnt... die Zibraffen Kiki und Kuku geben Gas; "Immer diese spontane Kinderkacke!", denkt Lush grinsend und nimmt ebenfalls an Fahrt auf.  Es wird, zu Lushs Überraschung, tatsächlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem der Ozelot nur gegen Lush gewinnt, weil er Lush kurz vor knapp den Stuhl unterm Hintern wegzieht. "Du kleiner Arsch, Olivier!", sagte Lush, der mit viel Karacho auf seinem Allerwertesten gelandet ist. Der Ozelot antwortet nur: "Lush, ich würde sagen, die erste Runde geht auf Dich!" Es wurden zwei Cappuccini und zwei koffeinfreie Caro-Kaffees für die Zibraffen bestellt und die jeweilig präferierten mitgebrachten Tageszeitungen aufgeschlagen – Olivier bevorzugt meist The Times, die Zibraffen halten es mit der Daily Mail, während Lush gerne für den äußeren Eindruck und die damit einhergehende Provokation der Massen zu The Sun greift.

So saßen die Vier traut im Café, das – zu Lushs Freude – "Zum Ameisenbär" heißt und genossen ein wenig die Ruhe eines Samstagnachmittags. Nichts hätte schöner sein können... aus unerfindlichen Gründen schweift Lushs Blick aber von der Zeitung ab und bleibt für einen kurzen Moment an einem roten Bus, der gerade an der Haltestelle gegenüber stoppt und seine Türen öffnet, hängen. Der Bus schließt die Türen und fährt wieder ab und Lush möchte sich wieder seiner Zeitung zuwenden, als er auf einmal seine Frau auf der anderen Seite stehen sieht. Sein Gesicht und sein Körper versteinern für einen kurzen Augenblick. Er schlägt die Zeitung zusammen, greift entschieden zur Tasse, ext seinen mittlerweile kühlen Kaffee und springt auf, so dass der Tisch fast umfällt. Kiki, Kuku und Olivier schrecken aus ihren Zeitungen hoch und folgen Lush mit ihren Augen. Lush rennt ohne zu gucken auf die andere Straßenseite und wird dabei fast von einem Taxi überfahren – Huup, huup!! Seine Frau dreht sich – wie eigentlich fast alle in der Umgebung – zu ihm um. Er entschuldigt sich beim Taxifahrer kurz mit den Händen und formt mit den Lippen ein stilles "Entschuldigung." Der Taxifahrer winkt ab und umfährt den Erschrockenen, der den mittleren Knopf des Sakkos kurz schließt und einmal kurz dran zuppelt... Langsamen Schrittes schreitet Lush nun zu seiner Dame. Dass alle Augen auf ihn zu starren scheinen, trägt dazu bei, dass, als er sein Ziel erreicht, er eigentlich gar nicht weiß, was er denn sagen soll. Er kann förmlich spüren, wie der Ozelot in seinem Rücken die Pfote gegen seine Stirn schlägt.

"Ehm... Hi!", Lush ringt sich zu mehr nicht durch.

"Hi!", antwortet die teils noch immer verdatterte Frau und behält dabei dennoch einen kühlen, arroganten Ton bei. Sie hat sich nicht stark verändert – die Kleidung und der Schmuck sind deutlich teurer und ihr Teint ist dunkler. Sie trägt einen zweiteiligen, mittelblauen, einreihigen Nadelstreifenanzug mit steigendem Revers aus Flanell – wahrscheinlich von Warded Tonsex – und dazu einen cremefarbenen Rollkragenpullover.  Die hohen schwarzen Schuhe von Kelin werden von der weiten Hose mit Schlag fast komplett bedeckt. Eine flache goldene Uhr von Katze blitzt unter dem Pullover hervor und ein bedrucktes großes Seidentuch von Herpès um den Hals runden den Look einer modernen Sloane-Rangerin ab.

"Kennst Du mich noch? Du siehst so gut aus...", Lush versucht sich an einem Hundeblick und kratzt sich dabei am Hinterkopf, weil er nicht weiß, was er mit seinen Händen sonst tun soll.

"Ja, ich meine schon. Gehört habe ich aber seit langem nichts mehr... so wie eigentlich alle aus unserem Bekanntenkreis. ...und danke für das Kompliment – derzeit reisen wir viel", antwortet die Frau entgeistert.

"Ich hatte Dinge zu erledigen. Ich habe neue Freunde, um die ich mich kümmere."

"...und WER soll das sein?  ...ach weißt DU ...ist MIR eigentlich ziemlich egal. Ich kümmere mich nicht um DICH und DEIN Leben." Sie blickt kurz auf ihre Uhr. "Ich muss dann auch los... gehe jetzt zum Antiquitätenmarkt und kaufe etwas für Albert – MEINEN NEUEN." Lush zuckt kurz, als er das hört. Es war mit der Absicht gesagt, ihn zu verletzen. Doch so richtig trifft ihn das eigentlich gar nicht – es ist eher der bewusste Versuch ihn zu verletzen und der Hass, der ihm entgegensprüht, der ihn stört.

"Schönen Tag noch!" Sie dreht sich theatralisch um und wirft ihren Schal noch theatralischer um Ihren Hals und stöckelt entschiedenen Schrittes von dannen – sie dreht sich nicht mehr um.

Lush blickt ihr noch ein bisschen hinterher. Irgendwie hatte dieser Moment etwas von einer Katharsis für ihn – er sieht sein altes verhasstes Leben gerade von ihm hinwegschreiten. Er blickt zur anderen Straßenseite; Kiki, Kuku und der Ozelot sitzen da und, als sie sehen, dass Lush zu ihnen guckt, lächeln sie und zucken mit den Schultern. Lush fängt mitten auf dem Bürgersteig herzhaft an zu lachen – ein bisschen weint er dabei allerdings auch – das sieht aber keiner – so hofft er. Er wartet auf den nächsten Bus. Als dieser auf seiner Höhe anhält, wischt er sich kurz die Tränen aus dem Gesicht und kommt dann über die Straße gehoppelt und zuckt ebenfalls mit den Schultern seinen drei Freunden zu. ES/MM/JHS

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