Wie hat man die Hosen an?

Wie hat man die Hosen an?

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Frank, gespielt von Henry Fonda, steht in einer Bar irgendwo im wilden Westen. Er geht auf sein Gegenüber zu, lässt dessen rote Hosenträger flitschen und sagt: How can you trust a man that wears both a belt and suspenders? Man can't even trust his own pants. Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod (1968) schrieb für mich durch diese Szene Geschichte; auch wegen der allseits bekannten Musik von Ennio Morricone. Dieser Artikel befasst sich mit der Frage, wie die Hose da bleibt, wo sie eigentlich hingehört - nämlich über die vier Buchstaben.

Zunächst sei folgendes gesagt: Weder Gürtel, Seitenversteller noch Hosenträger sollten eine Notwendigkeit sein. Will heißen, dass eine Hose generell am Bund nicht rutschen oder ins Fleisch schneiden sollte. Stellen Sie sich vor, Sie vergessen vor lauter Stress morgens einen Gürtel anzuziehen und Sie müssen zu Bus oder Bahn sprinten. Sowohl der Verlust der Hose im Dauerlauf als auch Verbrennungen ersten Grades durch einen zu engen Hosenbund wären unangenehm. Um dies zu vermeiden sollten Sie, wenn die Hose im Geschäft noch nicht perfekt passt, einen Änderungsschneider aufsuchen und einen kleinen Betrag in die Anpassung investieren. Der ROI (Return on Investment) ist phänomenal. Außerdem wird Ihr Gesäß besser in Szene gesetzt.

Damit ist die Wahl zwischen Gürtel, Seitenversteller und Hosenträger eher eine Stilfrage. Die förmlichste Lösung ist sicherlich, auf Gürtel und Schlaufen zu verzichten. Das Material des Gürtels bildet eine horizontale Grenze und zerstört dadurch den Fluss eines Auftritts. Deswegen gilt er bei White Tie, Black Tie oder Morning Coat als unelegant und damit als Fauxpas. Tragen Sie dort lieber knöpf- oder freiverstellbare Seitenversteller oder Hosenträger. Auch zu dreiteiligen Anzügen ist ein Gürtel nicht zu empfehlen, weil sich die Weste am Gürtel aufstülpt, was ebenfalls die Linie des Outfits unterbricht. Aus diesem Grund sollten Sie, wenn Sie einen Dreiteiler kaufen, ein Modell ohne Gürtelschlaufen wählen. Mit diesem Hintergrundwissen macht es historisch auch umso mehr Sinn, dass King Edward VIII. anfangs skeptisch beäugt wurde, als er einen Gürtel auf den Anzug trug. Der Gürtel auf dem Anzug ist historisch betrachtet eher ein casual statement, da es dafür spricht, dass die Klamotten nicht auf den Träger geschneidert wurden. In der Moderne kann er allerdings auch als Zierde verstanden werden. So hat wahrscheinlich auch Edward VIII. gedacht, denn alle seine Anzüge waren maßgeschneidert. 1998 kam die Pariser Garderobe dieses Herren bei Sotheby’s unter den Hammer. 15 Abendanzüge, 55 Geschäftsanzüge und drei formelle Anzüge (für jeden Anzug zwei Hosen). Man kann also davon ausgehen, dass der König nur ein wenig Abwechslung in seiner Garderobe suchte, als er Hardy Amies  beauftragte, einen Hosen mit Gürtelschlaufen zu fertigen, da ihm die Hosen seiner Anzüge seines eigentlichen Schneiders Frederick Scholte missfielen.

Wenn man wie die royale Stilikone den Gürtel als schmückendes Accessoire versteht, muss man sich fragen, welche Reaktion der Schmuck beim Gegenüber verursachen soll beziehungsweise mit welchen Schmuck man sich identifiziert und wohlfühlt. Im geschäftlichen Umfeld sollten Sie meiner Ansicht nach Emblemgürtel, Gürtel mit breiter Schnalle, Gürtel breiter als 3cm, Gürtel aus extrem dickem Leder meiden und zu einem Gürtel mit dem angemessenen Understatement greifen. Ich finde Gürtel mit schmaler, abgerundeter, goldfarbener Messingschnalle sehr klassisch und schön, aber das ist mein subjektiver Geschmack.

Chinos und Jeans wirken ohne Gürtel für unser geprägtes Auge ein wenig verloren. Die Chino ist Militärkleidung und die Jeans eine Arbeiterhose. Beide Modelle sind somit Massenware und wurden seit ihren Anfängen nicht für die Trägerschaft auf Maß geschneidert. Dadurch war der Gürtel hier eine Pflicht und hat sich seither in unserem Gehirn als unentbehrlich festgesetzt. Hier können gerne auch sportlichere und robustere Gürtel getragen werden.

Man entscheidet sich also zwischen der zierenden und der fließenden Variante. Ich persönlich bin ein Unterstützer der zweiten Variante, unter anderem auch weil Antoine de Saint-Exupery es bereits 1939 richtig beschrieben hat: Il semble que la perfection soit atteinte non quand il n'y a plus rien à ajouter, mais quand il n'ya plus rien à retrancher. Zu Deutsch in der Übersetzung durch Henrik Becker: Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann. Terre des Hommes, III: L'Avion, p. 60 (1939)

Zum Abschluss gibt der Goldman Sachs Elevator noch eine gute Antwort für den dummen Kommentar eines ewig besser wissenden Kollegen im Büro, wenn Sie sich für die Variante ohne Gürtelschlaufen entschieden haben:

#1: Did you forget your belt today?

#2: I don't need one; did you forget to get your suit tailored? #GSElevator

Zusatzinformation

Erstens: Die (Un-)Sitte, die Hose unterhalb des Hinterns zu tragen, stammt aus US-amerikanischen Gefängnissen. Gefängnispsychologen und Wärtern zufolge, um Drogen mit dem Allerwertesten zu transportieren, auch genannt „butt packing“, und/oder um Paarungsbereitschaft zu signalisieren. Egal wie und wofür, ist mittelfristig Beckenschiefstand zu erwarten. Zweitens: Hosenträger bieten neben der Positionierung der Hose den Vorteil, dass sie den Träger eine gerade Haltung einnehmen lassen; die Brust wird rausgestreckt, die Schultern automatisch zurückgenommen. Drittens: Die Farbe der Gürtelschnalle auf die der Uhr und des Aktenkoffers abzustimmen, fällt für mich unter die Rubrik deutscher Koordinierungswahn. Für einen eleganten und authentischen Auftritt empfehle ich ein wenig mehr Sprezzatura und Lockerheit. MM

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