Berlin. Ich kam zu früh zum vereinbarten Treffpunkt Victoria Bar in der Potsdamer Straße 102, nutzte die Zeit, breitete Stift und Papier vor mir aus und bestellte einen Gin & Tonic. Dieses Mal würde ich nun aber wirklich Notizen machen! - falsch gedacht. Als Helmut Berger alias Klaus Kinski alias Herr Sebastian Hoffmann im dunkelblauen Zweireiher von Robert Vogdt, mit getupften navy Halstuch und in schwarzen Penny Loafers die Bar betrat, war nach einigen Minuten Kleinunterhaltung klar, dass ich die Utensilien getrost wieder in die Tasche packen kann - ich kann einfach kein Multi-Tasking.
Sebastian Hoffmann - Ein Liebling der Massen
Herr Sebastian Hoffmann ist 34-jähriger Kunstgalerist in Berlin und wurde auch in der Hauptstadt geboren - Achtung! Vom Aussterben bedroht. Während seines Studiums der Kunstgeschichte, Literatur und Geschichte arbeitete er in einem altehrwürdigen Bremer Kunsthandel und danach auch mal für einen Abstecher in New York. Er erzählt das alles mit einer ungespielten Beiläufigkeit, die einen fast schaudern lässt. Sein Leben wirkt unglaublich spannend und dennoch aus den Augen eines auf dem Boden gebliebenen Berliners erzählt. Das einzige, was dafür fehlt, ist das Motzige, mit denen die Hauptstädtler sich gerne rühmen - meiner Ansicht nach ist er dafür aber viel zu zufrieden. Ihn umgibt eine Wolke der inneren Ruhe, die nebst seinem charakteristischen Aussehen und innewohnenden Friedenssinn, wahrscheinlich dazu führt, dass er einerseits bekannt wie ein bunter Hund und andererseits beliebt wie ein Popstar ist.
Die Art wie er die Galerie mit Gründer Patrick führt, ist nach eigener Erzählung ähnlich der eines Clubs. Kunden und Künstler finden uns und wir finden sie. Wenn sie bleiben wollen, bleiben sie. Wenn nicht, dann nicht. Dadurch kreieren die beiden eine Mystik um die Kunst - um die es ja letztendlich geht -, die ich persönlich sehr apart finde.
Flamboyance durch Praktikabilität
Der pittoreske Herr Hoffmann zeichnet sich aber nicht nur durch den Dialog aus, sondern auch durch einen atemberaubenden Ansatz zur Kleidung - fast schon provozierenden. Und wie zeigt sich dieser? Zurück zur Bar. Wir kommen auf ein Abendevent zu sprechen und die Wahl seiner Garderobe. Er trägt eine doppelreihige Abendjacke aus Leinen und dazu eine bequeme hochsitzende Trainingshose aus Schurwolle mit Nahttaschen und seidenen Gallonstreifen. Ich muss schmunzeln und frage mich im selben Moment, "Warum schmunzle ich?". Die Hose ist sicherlich eine ungewöhnliche Idee, aber wenn es doch bequem ist und gegen keine Regel verstößt. Im gleichen Atemzug überrennt mich ob des Schmunzelns ein Gefühl der Scham, denn ich habe mich dabei erwischt, - typisch deutsch - auf alles, was erst mal nicht in mein Weltbild passt, arrogant zu reagieren.
Beim zweiten Beispiel waren dann aber meine Augen und Ohren dafür umso offener. Er beschreibt ein ähnliches Beispiel: Für kommende Strandtage bespricht er derzeit einen doppelreihigen Anzug aus weißem Frottee mit seinem Schneider. Das ist super praktisch, denn dann spart man sich das Abtrocknen.
Er erinnert jetzt an einen Theaterschauspieler, der bekanntlich auch übertreiben muss, damit auch der Zuschauer im letzten Rang hinter dem Feuerlöscher versteht, was er tut und ist. Nur spielt Sebastian Hoffmann nicht, er ist. ... und in Sachen Kleidung ist er der praktische Überästhet.
Zusatzinformation
Erstens, alle beschriebenen Anzüge sind von Robert Vogdt. Zweitens, ich habe Sebastian Hoffmann nach seinem eigenen Kunstgeschmack gefragt. Natürlich - wie auch anders zu erwarten von einem Galerist - divers. Der rote Faden, der viele seiner Lieblingskünstler verbindet, beschreibt er mit dem Wort Autismus. Drittens, eine schöne Anekdote ist, dass Sebastian Hoffmann ein kleines Bild mit den Großbuchstaben LV besitzt. Ein Geschenk eines guten Freundes wie er erzählt: Das Kennzeichen von Lettland. Wir beide müssen schmunzeln, da er weiß, dass ich eigentlich an die Parallele zu ihm und Helmut Berger und damit Luchino Visconti denken musste. MM