Per Schneckenpost an Mr. Lush, City of Westminster

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Caro amico e umano,

einige Zeit habe ich gebraucht, um Ihnen diese Zeilen zu senden –entschuldigen Sie. Hier nun die ein oder andere Bemerkung.

Nach Venedig habe ich mich langsam und immer langsamer durch ein Land bewegt, das gekennzeichnet ist durch Leid, Schmerz und Tod. Überall weinende Kinder. Verloren die geliebten nonna e nonno. Als ich nun nach Bergamo kam war es besonders schlimm: Hier trugen selbst die Katzen Trauer und wehklagten um die Menschen, die doch dafür bestimmt waren, den Katzen zu dienen. Welche Verluste an liebenden und freundlichen Menschen. Kein Heil auf den Straßen, in den Häusern und Stuben – nur stummer Schmerz. Wie kann es noch Personen geben, die von einem kleinen Schnupfen sprechen? Das Andenken dieser Sprücheklopfer soll dem abolitio nominis anheimfallen.

Mit recht stellen Sie sich die Frage, was ich denn in dieser Ecke der Welt zu suche habe. Nun ich war auf dem Weg nach Tegna (Schweiz) und der Weg von Venedig dorthin führt nun mal über Bergamo. Diese liebreizende und helle Stadt umweht nun der Rauch der Pestilenz. La povera italia piange per di.

Wie gesagt: Ich war also auf dem Wege nach Tegna, um einer großen Priesterin der Bastet meine Reverenz zu erweisen und mehr über Ihren grausamen Charakter zu erfahren. Als ich nun Bergamo hinter mir ließ und den Bergen näher kam, war die Luft leichter. Als ich mich der Sonne näherte hüpfte mein Herz vor Freude beim gewahr werden von Kühen und Lämmern – du glückliche Schweiz. 

Der Zug fuhr über den Ponte Brolla, der einen wild-romantisch sprudelnden Bach überspannt. Der Anblick dieses schäumenden Wassers war so erfrischend, dass – als ich ausstieg und auf den Bahnhofsplatz trat – ein leises Mauzen meine Kehle verließ. Zu Hause? 

Der Ort selbst ist unscheinbar: Mauern aus Feldstein und einige Häuser mit pastellfarbenem Anstrich. Es war nicht schwer, den Weg zum Haus der Ewigkeit zu finden. Am Turm der Pfarrkirche vorbei zum schmiedeeisernen Tor, das von zwei hundertjährigen Eiben eingefasst ist. Einige kleine Schritten weiter und ich hatte das Columbarium erreicht. Aber um die Grablege zu finden war es nötig, dass ich mich doch ein wenig strecken musste. Und da rechts oben in der Ecke, der Schriftzug fast verdeckt durch Blumen (Sie hasste Blumen von ganzem Herzen), entdeckte ich das kleine Urnengrab der Priesterin.

Welch glückliche Stunden habe ich doch zwischen Seiten Ihrer Bücher verlebt. Eingetaucht in Alltäglichkeiten, die ausgeleuchtet sind wie Bilder von Andrea Mantegna. Hier eine Zigarettenschachtel, dort der Besuch beim Zeitungshändler oder eine Fahrt über das Land. Ach ja: hin und wieder ein kleiner Mord. Die Beschreibungen der Gefühlswelt der Figuren sind wie Berichte einer Bewegung auf der schiefen Ebene oder einer Textstelle aus einem Sektionsbericht, und dennoch sind die Geschichten einleuchtend Geheimnisvoll wie Lieder aus Kindertagen. 

„Ich kann mir für die Fantasie nichts stimulierenderes und beflügelnderes vorstellen als die Annahme, dass jeder, der einem auf dem Gehweg entgegenkommt, ein Sadist, ein Seriendieb oder sogar ein Mörder sein könnte.“ sprach diese Erzählerin. Wie ergötzlich muss es gewesen sein, mit einer solchen Autorin spazieren zu gehen und an der nächsten Ecke bereits eine neue menschliche Untiefe zu entdecken. Nun diese Möglichkeit ist uns genommen. Es bleibt uns auf ewig Tom Ripley. Dieser Ausdruck von Haltung und Stil. Lieber Lush, selbst Sie müssen einräumen, dass diese Haltung uns ein Vorbild ist. Apropos: Was macht der Engländer eigentlich mit dem Struwwelpeter in der Downing Street?

In der Hoffnung, dass diese Zeilen Sie bei bester Laune erreichen hier noch mein Lektürehinweis: „Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde“. Besonders ans Herz lege ich Ihnen die beiden Geschichten der lasziven Katze Ming und der sehr ehrenwerten Kakerlake.

Nun, lieber Lush, senden Sie mir doch über die Schneckenpost einige Zeilen.

Bis dahin das Beste, Ozelot

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