Literary Looks: Algernon Moncrieff

Literary Looks: Algernon Moncrieff

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Also! Es ist doch völlig absurd, irgendwelche unumstößlichen Regeln aufzustellen, was man lesen darf und was nicht. Mehr als die Hälfte der modernen Kultur basiert auf dem, was man nicht lesen sollte.

Erwidert Algernon Moncrieff in Oscar Wildes The Importance of Being Earnest, kurz nachdem er ohne Erlaubnis die Inschrift von Jack Worthings Zigarettenetui liest. Zugleich muss hinzugefügt werden, dass Oscar Wilde zweifellos zu den Literaten zählt, die gelesen werden sollten. Die Serie „Literary Looks“ ist aber keine Literaturkritik. Der Fokus liegt viel mehr auf den Kostümen literarischer Charaktere. In der ersten Episode: Algernon Moncrieff.

Algy ist einer der vielen jugendhaften und moralverdrossenen Dandies, die sich durch Oscar Wildes Werk ziehen. Die Verwendung des Dandy-Begriffs scheint zwar inflationär, doch auf Algy trifft er zweifelsfrei zu. Algy ist stets hervorragend gekleidet; seine Abneigung gegenüber der Moralapostelei wird ergänzt durch eine Leidenschaft für Gurkensandwiches und eine Reihe zynischer Kommentare zum Zustand der Gesellschaft. Die Unterhaltung mit seinem Diener, Lane, zu Beginn des Stücks, ist bezeichnend für seinen Charakter. Algy macht sich außerdem einen großen Spaß daraus, an den vermeintlichen Vorzügen der Ehe zu zweifeln. Auf Algys Frage hin, weshalb seine Champagnervorräte oftmals den Bediensteten zum Opfer fielen, erwidert sein Diener:

LANE: Ich würde dies auf die ausgezeichnete Qualität des Weins zurückführen, Sir. Ich habe schon öfter bemerkt, dass es in den Häusern von verheirateten Herrschaften nur selten erstklassigen Champagner gibt.

Algys vernichtendes Urteil folgt prompt: Ach, du meine Güte! Ist die Ehe wirklich so demoralisierend?

Ein etwas dicklicher Algy im Cut – nach einigen Gurkensandwiches.

Wenig später kommt sein Freund, Jack Worthing, zu Besuch, um Algys Cousine, Gwendolen Fairfax, einen Heiratsantrag zu machen. Auch dieses Vorhaben erweckt wenig Begeisterung in Algy:

JACK: Ich habe mich in Gwendolen verliebt. Ich bin ausdrücklich deswegen nach London gekommen, um ihr einen Heiratsantrag zu machen.

ALGERNON: Ich dachte, du seist zum Vergnügen hergekommen? ... So was nenne ich Geschäft.

JACK: Wie entsetzlich unromantisch du bist!

ALGERNON: Ich sehe wahrhaftig nichts Romantisches an einem Heiratsantrag. Es ist sehr romantisch, verliebt zu sein. Aber ein eindeutiger Antrag hat nichts Romantisches. Es kann ja sein, dass man erhört wird. Ich glaube, das ist gewöhnlich der Fall. Dann ist der ganze Reiz vorbei. Das Wesentliche des Romantischen ist Ungewissheit. Wenn ich mich je verheirate, werde ich bestimmt versuchen, die Tatsache zu vergessen.

Doch Algys Dandytum wird auch darin deutlich, dass er ein scheinbar sorgfältig konstruiertes Doppelleben führt. Hierfür erfindet er einen Freund namens Bunbury, der stets krank ist und, bei Bedarf, als willkommene Ausrede dient, um bereits getroffene Verabredungen aufzukündigen. Algy beteuert, dass er nichts ernst nehme außer dem Bunburying, dem Führen seines Doppellebens. Er genießt es, von seiner Ausrede Gebrauch zu machen, um Verpflichtungen zu entgehen.

ALGERNON: [...] Ich habe einen unschätzbaren Invaliden namens Bunbury erfunden, damit ich aufs Land fahren kann, wann immer mir danach ist. Bunbury ist einfach unschätzbar. Wenn Bunbury nicht bei derart ungewöhnlich schlechter Gesundheit wäre, könnte ich heute Abend nicht mit dir bei Willis dinieren, ich bin nämlich schon seit über einer Woche mit Tante Augusta verabredet.

Jack, der seinerseits aus ganz ähnlichen Motiven einen Bruder erfindet, kritisiert Algy für dessen imaginären Freund. Hier offenbart sich Wildes scharfe Kritik an der viktorianischen Doppelmoral. Jack handelt nicht weniger verwerflich als Algy und weist ihn dennoch für sein Verhalten zurecht:

JACK: Wenn du nicht aufpasst, dann wird dich dein Freund Bunbury eines Tages in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.

ALGERNON: Ich liebe Schwierigkeiten. Schwierigkeiten sind das einzige, was niemals ernsthaft ist.

JACK: Was für ein Unsinn, Algy. Du redest dir immer einen Unsinn zusammen.

ALGERNON: Aber das tut doch jeder.

Auch Jacks Doppelleben droht schließlich aufzufliegen und beide geraten in Erklärungsnot, als die anderen Charaktere beginnen, ihr Spiel zu durchschauen. Neben dem Bunburying gibt es jedoch noch eine weitere Leidenschaft, die Algy sehr ernst nimmt: sein Auftreten. Er wird als lässig-elegant beschrieben – seine Kleidung sei stets makellos.

Was genau trägt Algy also im Laufe des Stückes?

Zu Beginn des Stücks trägt Algy einen schwarzen Morning Suit mit einer taubengrauen doppelreihigen Weste. Die Hose hat einen hohen Bund und geradegeschnittene Beine. Dazu eine gepunktete Ascotkrawatte, ein weißes Hemd mit sehr hohem Kragen und schwarze Oxfords. Seine Garderobe ist auf der Höhe der Zeit. So ist es bestimmt kein Zufall, dass Jack keinen Morning Coat, sondern einen Gehrock trägt, der Ende des 19. Jahrhunderts bereits wieder aus der Mode gekommen war. Es wird deutlich, dass Algy den anderen Charakteren stilistisch einen Schritt voraus ist. Aus seiner Leidenschaft für den perfekten Auftritt macht er übrigens kein Geheimnis. Für Algy am allerwichtigsten ist die Boutonnière am Revers, ohne die er nicht einmal zu speisen vermag.

ALGERNON: [...] Ohne Blume im Knopfloch habe ich überhaupt keinen Appetit.

CECILY: Eine Maréchal Niel?

ALGERNON: Nein, lieber eine blassrote Rose.

CECILY: Warum?

ALGERNON: Weil Sie wie eine blasse Rose sind, Cousine Cecily.

Im zweiten Akt wird das Geschehen in Jacks Garten verlegt. Algys Garderobe ändert sich entsprechend des neuen Schauplatzes. Er trägt nun einen grauen Morning Suit aus Tweed mit Gingham-Muster. Dazu einen Kreissägehut mit schwarzem Band. Die breite Krawatte wird durch eine Schleife im Muster des Anzugs ersetzt. Das weiße Hemd, die hellgraue Weste mit Schalkragen und die schwarzen Oxfords bleiben wie zuvor.

Algy im Cut mit Kreissäge.

Jack tritt in Trauergewand auf, da in der Zwischenzeit sein erfundener Bruder verstorben ist – so viel zu seiner Kritik am unmoralischen Verhalten Algys. Da durch Algys Anwesenheit auch Jacks Doppelleben aufzufliegen droht, möchte er Algy nach Australien schicken. Jack macht sich auf den Weg nach London, um Algy für die Reise eine neue Garderobe zu besorgen. Doch Algy, der nicht im Geringsten daran denkt auszuwandern, nutzt die Gelegenheit, um auf Jacks fehlenden Sinn für stilvolle Krawatten aufmerksam zu machen:

ALGERNON: Ich kann es nicht zulassen, dass Jack mich einkleidet. Was Krawatten angeht, so hat er überhaupt keinen Geschmack.

CECILY: Ich glaube nicht, dass Sie Krawatten brauchen werden. Onkel Jack verschickt Sie nach Australien.

ALGERNON: Australien! Eher würde ich sterben.

Da Jack weiterhin um seine Integrität fürchtet, möchte er Algy auf einem anderen Weg los werden. Doch auch dieses Mal lässt sich Algy nicht überzeugen.

JACK: Wirst du gehen, wenn ich meine Kleidung wechsle?

ALGERNON: Ja, wenn du nicht zu lange brauchst. Nie habe ich jemanden gesehen, der so viel Zeit zum Anziehen braucht und mit so geringem Erfolg.

JACK: Das ist jedenfalls besser, als stets übermäßig geputzt zu sein wie du.

ALGERNON: Wenn ich hin und wieder etwas übermäßig geputzt bin, so gleiche ich das aus, indem ich stets einen übermäßig hohen Grad an Bildung offenbare.

Dass Jack glaubt, er könne Algy umstimmen, indem er sich umzieht, offenbart die große Bedeutung, die Algy der Kleidung zuschreibt. Den Vorwurf des overdressings nimmt er also herzlich dankend entgegen.

Nachdem diverse Familienverhältnisse geklärt sind, stellt sich heraus, dass Algy eigentlich Ernst heißt. Da Cecily ausschließlich einen Mann namens Ernst heiraten möchte, endet das Stück, nach anfänglicher Skepsis, nun doch mit einer Eheschließung. Neben Jack und Gwendolen heiraten schließlich auch Ernst (Algy) und Cecily. Und so zeigt sich schließlich auch für Algy, wie wichtig es doch ist, Ernst zu sein.

Sollten Sie nun in Verlegenheit geraten sein, Ihr Doppelleben aufzugeben oder steht bei Ihnen schlichtweg eine Hochzeit bevor, würden wir, in Anlehnung an Algys Garderobe, folgendes vorschlagen:

Ein dreiteiliger Morning Suit mit einer Jacke aus schwarzem Herringbone mit breitem, steigendem Revers und einem Doppel-Schließknopf. Die Hose, in mittelgrau, wäre sowohl in Stresemann-Streifen oder einem Houndstooth denkbar. Dazu eine doppelreihige pinke, gelbe oder babyblaue Leinenweste mit steigendem Revers. Ergänzend, ein eierschalenfarbenes Hemd, eine beige Glencheck-Krawatte und schwarze Oxfords. Und vergessen Sie nicht die Boutonnière, sonst vergeht Ihnen noch der Appetit.

Nun entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich um einen kränklichen Freund kümmern. YS/MM/JHS

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