Unter dem Titel Wie man sich in Deutschland anzieht erschien in den 20er Jahren im englischen Modemagazin Man - and his clothes ein nervenaufreibender Artikel über den schlechten Stil der Deutschen aus den Augen eines Engländers. Das deutsche Modemagazin Blau-Rot - eine Monatsschrift für den Herrn ließ diese Schmach nicht auf sich sitzen und antwortete mit spitzer Feder auf die teils wirren Behauptungen aus dem angelsächsischen Raum. Durch die Privatsammlung Andreas Thenhaus bin ich in der glücklichen Lage die Original Texte von 1929 vorliegen zu haben und muss feststellen, dass man sich auch heute noch über fast alle Aussagen streiten kann. Es folgen Übersetzungen des Originaltextes, die Antworten des deutschen Journals Blau-Rot und auch ich kommentiere ein wenig.
Schlechte Westen
Man - and his clothes
Ich habe einmal einem deutschen Freund eine zweireihige Weste geliehen, die von einem erstklassigen Londoner Westendschneider gemacht war. Er wollte sie seinem Schneider als Modell geben. Er tat es und wies ihn an, eine Weste genau so wie diese anzufertigen. Der Schneider war zu hartnäckig und hatte scheinbar keine Ahnung von englischer Schneiderei. So kam es, dass die Weste nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Modell hatte und entsetzlich aussah. Es war überhaupt gar besonders schwierig, dem Schneider beizubringen, dass der Schnitt einer Weste von Wichtigkeit sei. Allerdings muss ich zugestehen, dass der Rock erstklassig ausgefallen war.
Blau-Rot - eine Monatsschrift für den Herrn
Man stelle sich einen solchen Blödsinn vor! Ein Schneider macht also, wie der Verfasser zugibt, einen untadeligen Rock, und derselbe Schneider, der solch ein Meisterwerk fertig bekommt, ist auf der andern Seite ein derartiger Idiot, dass man ihm nicht beibringen kann, dass eine Weste ebenfalls gut sein müsse und dass es auch auf sie ankäme. Wem will der Verfasser so etwas einreden und den Schneider möchte man in ganz Deutschland suchen, der behauptet, dass nur der Rock gut zu sein brauche und die Weste Nebensache sei.
Maximilian Mogg
Die Kopie einer Weste sollte für einen guten Schneider in der Tat kein weiteres Problem sein. Ein Schlem, wer denkt, dass vielleicht nicht die Kopie das Problem war. Aber auch selbst, wenn der Schneider wirklich bescheidene Arbeit geleistet hat, zeugt es von einem Horizont von der Tapete bis zur Wand, wenn man nun denkt, dass alle deutschen Schneider schlecht sein sollen.
Sinn eines Einstecktuchs
Man - and his clothes
Miniaturtaschentücher, manchmal eingefasst mit Spitze, die aus den Brusttaschen lugen oder in graziösen Wellen aus ihr herausfließen, legen Zeugnis ab von dem Wunsch des Deutschen, chic auszusehen.
Blau-Rot - eine Monatsschrift für den Herrn
Wo hat unser Freund wohl diese Studien gemacht? Sollte er etwa in gewissen Bars gewesenen sein, deren Namen zu nennen er begreiflicherweise sich scheut? Oder hat er gar eine "Tournée des Grands-Ducs" durch die Lokale der Frankfurter Allee, Warschauer Brücke oder des Stettiner Bahnhofs gemacht? Es hat schon keine Methode mehr, sondern es ist wirklicher Wahnsinn, der aus diesen Zeilen spricht.
Maximilian Mogg
Dieser Einstecktuchtrend ist mir sowieso zuwider. Ich predige seit Jahren mit Engelszunge, dass ein Einstecktuch wirklich keine reine Zierde sein sollte. Es ist ein Tuch, das man der Begleitung bei Tränen- und Nießanfällen als Unterstützung anbietet. Deshalb ist es purer Luxus - oder vielleicht auch charmant dekadent - für diese Tücher Unsummen zu bezahlen, weil nach dem Überreichen nimmt man es natürlich nicht zurück.
Pflege ohne Verstand
Man - and his clothes
Ein weiterer Beweis für den Wunsch gut auszusehen ist daraus zu ersehen, dass unter den deutschen Männern der Gebrauch von kosmetischen Mitteln ständig anwächst. Man darf sich durchaus nicht wundern, dass in vielen Hotels und Restaurants verschiedene Schattierungen von Puder zum Gebrauch für die Besucher der Waschräume bereit liegen, ja sogar kleine andere "Zubehörteile" wie Lippenstifte und Augenbrauenstifte.
Blau-Rot - eine Monatsschrift für den Herrn
Unser Argwohn, dass der Verfasser eine ganz besondere Abart Berliner Vergnügungsstätten bevorzugt haben mag, wird durch diese Bemerkung ganz augenscheinlich zur Gewissheit.
Maximilian Mogg
Männerüberpflegung ist so eine Sache: Wann ist man genau richtig gepflegt, wann überpflegt, wann unterpflegt? Wo man früher noch meinte ein einwöchentliches Bad sei ausreichend, lautet der heutige Befehl sich täglich zwei Mal zu duschen. Dass man mittlerweile auf Kosmetika zurückgreift, konnte ich bei klassisch angezogenen Herren noch nicht feststellen. Dementsprechend gehe ich ebenfalls davon aus, dass der englische Herr Lokalitäten, die Herren besonders verwöhnen wollen, aufgesucht hat... oder er hat sich schlicht und ergreifend bei der Wahl der Waschräume geirrt.
Ist das Kind bei uns in den Brunnen gefallen?
Man - and his clothes
Die Schwierigkeit der Bekleidungsweise für deutsche Herren liegt darin, dass es keine Traditionen des sich gut Kleidens gibt. Vor dem Kriege waren die smartesten Männer Offiziere, die immer Uniform trugen und die Zivilisten waren mit wenig Ausnahmen nachlässig und altmodisch gekleidet, von denen niemand sich dazu aufgeschwungen hat, eine Mode zu schaffen. Daher weiß der Deutsche trotz allen guten Willens auch heute noch nicht, was er tragen muss, ist seinen eigenen Ideen überlassen oder denen eines exzentrischen Schneiders und wirkt somit modisch wie ein vollkommener Fehlschlag. Ich bin der Ansicht, dass es für jemanden, der es versteht die Deutschen mit wirklich guten Kleidern zu beliefern, in diesem Lande ausgezeichnete Möglichkeiten gibt.
Blau-Rot - eine Monatsschrift für den Herrn
Was der Verfasser hier von den Vorkriegsjahren berichtet ist absolut richtig; auch die Tatsache, dass man bei uns keine Kleidungstradition hat, unterschrieben wir. Dass inzwischen aber einige gute Schneider aufgetaucht sind, die sehr großen Einfluss auf die Besserung der Kleidung einer gewissen Klasse deutscher Herren ausgeübt haben, wird leider nicht erwähnt. Es ist entschieden bedeutend besser geworden. Leider bisher nur in den wohlhabenderen Kreisen und tatsächlich wäre es zu wünschen, dass man nun auch systematisch an eine Verbesserung des Stils der großen Menge ginge. Aufnahmefähig für etwas Besseres ist der Durchschnittsdeutsche. Es kommt nur darauf an, dass man es ihm zu Preisen verschafft, die er auch bezahlen kann.
Maximilian Mogg
Ich bin der Ansicht, dass es für jemanden, der es versteht die Deutschen mit wirklich guten Kleidern zu beliefern, in diesem Lande ausgezeichnete Möglichkeiten gibt. ... Ich auch! Wie sagte ich mit vier Jahren zu meinem Bruder: Wir lieben Dich trotz allem.
Danksagung
Ich danke Herrn Andreas Thenhaus, Eigentümer des Online Shops Herr von Welt und wandelndes Lexikon, für die Leihgabe des Magazins Blau-Rot - Eine Monatsschrift für den Herrn von 1929 erschienen bei Blau-Rot G.m.b.H., Berlin W8. MM