Von der fast unsichtbaren Kleinigkeit

Von der fast unsichtbaren Kleinigkeit

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„Wozu Socken? Sie schaffen nur Löcher!“, verkündete weiland Albert Einstein. Die Logik des Nobelpreisträgers ist über jeden Zweifel erhaben. Allerdings ist der Tragekomfort von Lederschuhen ohne Strümpfe so stark beeinträchtigt, dass ich bereit bin die Löcher zu ertragen - wie auch gefühlt 99,9% der restlichen zivilisierten Welt. Die Verweichlichung der Männerwelt beziehungsweise die männliche Sehnsucht nach einer schmerz- und blasenfreien Welt ist im 21. Jahrhundert sogar so stark pervertiert, dass mittlerweile viele Männer den Mut haben, farbige Strümpfe aus den verschiedensten Materialien auf einen Anzug zu tragen. Die Frage lautet hiernach: Welcher Strumpf passt zu welchem Outfit?

Unterscheidung Strumpf und Socke

Zunächst eine kurze Unterscheidung zwischen den häufig als Synonym verwendeten Begriffen Strumpf und Socke.Der Strumpf bekleidet Fuß und Bein. Er hat deshalb immer einen Beinling, der bis zum Knie reicht. Damit hat der Strumpf den Vorteil, dass er die Wade umschließt und somit nicht ständig herunterrutscht. Socken haben hingegen einen vergleichsweise kurzen Beinling, der normalerweise bis kurz über den Knöchel reicht. Das geht mit dem Nachteil einher, dass der Socke oft verrutscht und somit die teigigen, behaarten Männerbeine das Licht der Welt erblicken dürfen. Die Umgebung hat daran meist nur wenig Spaß. (Noch) kürzere Socken, auch genannt Söckchen - das wahrscheinlich männlichste Wort der deutschen Sprache -  halte ich (wenn überhaupt) nur für den Sport angebracht und lasse sie deshalb außen vor.

Kurzum, es ist der Strumpf, nach dem im Geschäft gefragt werden sollte, wenn Sie korrekt gekleidet sein möchten.

Farbe des Strumpfs

Zu dem Thema der Farbe gibt es viele verschiedene Meinungen, die meist kulturell geprägt sind und damit meiner Meinung nach reine Geschmacksache sind. Aber es lohnt auch hier sich mit allen Kulturen zu beschäftigen, um sie zu verstehen und durch das erreichte Verständnis die für sich beste Wahl treffen zu können.

Die amerikanischen Autoren John Bridges und Bryan Curtis, die für Brooks Brothers den Dress Guide A gentleman gets dressed upverfasst haben, beschreiben folgende Regel: A gentleman chooses his socks-of-the day so that they blend with his slacks or his suit pants - no so that they match his shirt or tie, much less his pocket square.Die Klientel von Brooks Brothers wird hierzu sicherlich zustimmen. Es herrscht dort generell eine eher konservative Meinung zu Kleidung.

Arndt Sussmann beschreibt hingegen in Your Wardrobe, dass man mit dem Strumpf durchaus einen farblichen Akzent setzen darf. Er empfiehlt einen Farbton, der bereits im Outfit vorhanden ist - wie beispielsweise Pullover, Krawatte oder Einstecktuch. Es erfordert allerdings Geschick und sei deshalb nicht jedem zu empfehlen.

Einen diplomatischen und sehr fundierten Ansatz stellt Alan Flusser in dem amerikanischen Pendant zu Bernhard Roetzels Der Gentleman vor. In Dressing the man beschreibt er, dass die Grundfunktion eines Strumpfes zunächst sein sollte zwischen den Farben der Hose und des Schuhs zu vermitteln. Es sollte davon abgesehen werden, die Strumpffarbe im Farbton des Schuhs zu wählen, weil footwear and hosiery that are perceived as a unit ultimately separate themselves from the trouser, stopping the eye at the pant-leg bottom instead of escorting it all the way down to the floor. Das Ziel sollte somit sein, einen fließenden Übergang zum Schuh zu schaffen und damit als Sekundärziel das Bein optisch zu verlängern. Das heißt konkret, navyblauer Anzug mit schwarzen Oxfords ist gleich navyblaue Strümpfe oder grauer Anzug mit braunen Brouges ist gleich graue Strümpfe. Somit ist es nicht ratsam schwarze Strümpfe sein Eigen zu nennen - außer natürlich bei festlichen Anlässen, die nach Black oder White Tie verlangen, oder sonstigen Gründen, warum man komplett in Schwarz gekleidet sein sollte. Flusser schreibt aber auch, dass, wenn man den Strumpf nicht als Brücke zwischen Hose und Schuh versteht, sondern vielmehr als Accessoire oder als harmonizer wie eine Krawatte oder ein Einstecktuch und damit als ein Weg aus der Mediokratie, man auch den Strumpf in Farbe und Material an ein anderes Kleidungsstück anpassen kann. Damit lässt man das Gegenüber verstehen, dass man sein outfit from tip to toeals Gesamtkunstwerk betrachtet.

Zusammenfassend: Jede Farbe ist im Prinzip möglich, ausgenommen die Farbe des Schuhs. Die Nichtfarbe Weiß sollte man vielleicht mit Vorsicht behandeln - außer konsequenter- und logischerweise bei weißen Hosen.

Material des Strumpfs

Das Material spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Ein hochwertiger Strumpf sollte immer nur aus natürlichen Fasern gefertigt sein. Viele Hersteller mischen meist 5% bis 15% synthetische Fasern bei um das Gewebe haltbarer zu machen. Das Problem dabei ist, dass der Tragekomfort und die Atmungsaktivität darunter leidet. Gute Strümpfe sollten schlicht und ergreifend in den stärker beanspruchten Bereichen der Zehen und der Fersen dichter gewebt sein, um den Strapazen standzuhalten.

Materialien wie Seide, Kaschmir, Wolle und mehr oder weniger feine Baumwolle sind möglich. Das Material sollte in Abhängigkeit zur Art des Anlasses gewählt werden. Dabei gilt die Faustformel je förmlicher der Anlass, umso feiner und dünner sollte das Material sein, beziehungsweise je wuchtiger die Montur, umso dicker der Strumpf. Bei Black Tie sind somit schwarze Seidenstrümpfe angebracht; bei schwerem Flannel hingegen eher Wollstrümpfe. Der Strumpf sollte die physischen Eigenschaften des Schuhs oder der Hose teilen, um nicht unangenehm aus der Reihe zu tanzen und um seine vornehmliche Funktion der Transition zwischen Hose und Schuh nachzukommen. Um diese Funktion weiter zu unterstützen, sollte das Material aber tendenziell immer einen Ticken leichter sein, um durch die Wuchtigkeit den Gesamtauftritt nicht zu zerstören.

Zusammenfassend: Drei Regeln gilt es zu beachten. Erstens, der Strumpf sollte bei Anzügen knielang sein. Zweitens, der Strumpf sollte nicht der Farbe des Schuhs entsprechen. Drittens, das Material sollte in Sachen Förmlichkeit an das Gesamtbild angepasst sein. Der Rest ist eine Frage des Geschmacks und des Gefühls.

Zurück zu Albert Einstein:. Seine Attitüde zu Socken beruht – so erzählte Alber Einstein - auf einer Kindheitserfahrung. Als er klein war, fand er heraus, dass sein großer Zeh ständig ein Loch in die Socken fraß. Deshalb trug er tatsächlich keine Socken. Ich weiß nicht, wie es um die Pediküre des Albert Einsteins bestellt war, aber ihm ist mit Sicherheit durch diese Einstellung eine Möglichkeit entgangen, eine weitere Feinheit in seinen Auftritt einzubauen.

Zusätzliche Informationen

Erstens: Weiße Tennissocken sind kein Verbrechen an der Menschheit. Sie gehen jedoch sicherlich nur zu Sneakern. Da diese allerdings in unserer heutigen Gesellschaft zum normalen Casual-Outfit dazugehören, benötigt man(n) gar weiße (oder farbige) Tennissocken. Ich schließe mich damit Michael Michalskys Meinung an, dass es eher ein Stilbruch ist, feine Strümpfe auf einen Sneaker anzuziehen, als weiße Tennissocken. In Zeiten, in denen jeder Zweite meint, dass ein Tennisschuh von Adidas aus den 80ern der neue Trendschuh ist, benötigt der moderne Herr definitiv einige Paar weiße Tennissocken, um den Tennisschuh zu komplettieren. Zweitens: An der Universität Oxford findet man viele Studenten der feinen Künste, die pinke Strümpfe tragen. Das Statement der pinken Strümpfe ist deshalb in England teilweise mit Snobismus verbunden, da man eben diesen Studenten nachsagt, dass sie aufgrund Ihrer pekuniären Verhältnisse Kunst, Kunsthistorie oder ähnliches wählen können, weil Sie kein eigenes Geld verdienen müssen. Drittens: Leichte Sommerslipper ohne Strümpfe sind seit Miami Vice Kult. MM

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