Olivier blickt angestrengt durch ein Fernglas gen Festung. Er wartet auf das Signal. Das Tor hatte sich vor einigen Minuten bereits geöffnet, aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Ingo Messerschnitt sollte schon längst ein Lichtsignal gesendet haben. Olivier wartet. Ein Missverständnis kann er sich mit seiner Armee nicht leisten. Die ganze andere Bande an Tieren lauert schon angriffslustig im Busch und Gestrüpp und sieht dem "Los!" hochgespannt entgegen - die Motivation ist in jedem kleinsten Muskelzucken aller zu spüren. Die Haare, Borsten oder Schuppen sind auf Angriff aufgestellt. Der Tag der Rache ist endlich gekommen ... und sie würde gnadenlos werden. Die Taube mit den Kopfhörern hat feinsäuberlich alles vorbereitet und sich auf dem Rücken eines Elefanten mit Soundanlage positioniert, um zur Angriffsmusik zu blasen. Der Elefant hatte das anfangs ein wenig persönlich genommen. "Zum Angriff zu tröten ist die Aufgabe eines Elefanten ... seit Jahrhunderten. Olivier, das kannst Du mir nicht antun! Das verletzt meine Familienehre." - "Und was macht dann die Taube?? Einige Dich mit ihr! Ich habe keine Zeit für und Lust auf Eure Kinderfaxen." - "...! Olivier? Komm schon!" Olivier drehte sein Gesicht ganz langsam, blickte dem Elefanten tief in die Augen und ... der Elefant begab sich rasch auf den Hügel. Angst, ja Angst - das konnte der Ozelot anderen einjagen ... aber nur, wenn er wollte. Komplett in Gedanken versunken kommt er auf einmal - der lang erwartete, kurze Blitz von einem der Türme der Festung. Es ist soweit! Olivier setzt sich eine Augenklappe auf, zupft seine navy doppelreihige Uniform zurecht und schwingt sich auf die Zibraffe Kuku! Er schließt seine Augen. Atmet einmal tief ein ... und dann aus. Dann schreit er mit voller Inbrunst: "ZUM ANGRIFF!" Der Tauben-DJ krallt sich - nicht ganz ohne provokanten Hintergedanken - in des Elefanten Haut fest und spielt: Bonanza. Die Meute springt aus dem Dickicht und beschleunigt - jeder in seiner jeweiligen Geschwindigkeit! Das Ziel ist klar: Vergeltung und Gerechtigkeit!
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Währenddessen hängt Mr Lush kopfüber von einem Ast im Tigergehege und wartet auf Erlösung. Unter ihm kreisen zwei Tiger - sie haben sich als Paul und Maul vorgestellt -, die ungeduldig auf das Zeichen von Mr Mahto warten, ihn zu zerfleischen und mit seinen Gedärmen zu spielen. Aber - wie ein jeder weiß - ist Vorfreude die schönste Freude und dementsprechend grinsen die beiden über beide Tigeröhrchen. Mr Lush, ganz alleine und kopfüber - das erinnert ihn an eine Szene in Eton: Die älteren Semester hatten es sich zum Spaß gemacht, den jungen Lush volltrunken mitten in der Nacht zu kidnappen und ihn mit den Füßen zuerst am Kronleuchter in der Mensa aufzuhängen. Lush kann sich genau erinnern, nur ist er sich nicht ganz sicher, was damals schlimmer wog: Das ständige Erbrechen kopfüber oder das Gelächter der Kommilitonen am nächsten Morgen beim Frühstück. Die Albträumerei unterbricht Mr Mahto mit dem Versetzen der Nadel eines riesengroßen Plattenspielers - Vivaldis Frühling ertönt in ohrenbetäubender Lautstärke.
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„Eigenartige Wahl!“, denkt sich Lush. „Winter wäre sicherlich passender gewesen - der Tölpel! Aber … Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.“
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Mr Mahto hebt die Nadel wieder an und spricht zu dem Kopfübernen: „Mr Lush, endlich haben wir mal die Ruhe, miteinander zu sprechen. Wissen Sie, ich vermisse zwei Zibraffen, mit denen Sie zuletzt auf einem Motorrad mit zwei Beiwagen abgezischt sind - Sie erinnern sich sicherlich; eine Auffrischung Ihrer Erinnerung ist trotz Ihres schon fortgeschrittenen Alters sicherlich nicht nötig.“ („Jetzt wird er auch noch frech!“ - denkt sich erzürnt Mr Lush.) „Wissen Sie, mir geht es weniger um die beiden Zwillinge als viel mehr darum, dass mir durch Ihren Diebstahl ein riesiges Geschäft entgangen ist und mein Auftraggeber nicht gerade erfreut war, zu hören, dass seine Ware abhanden gekommen sei. Wissen Sie, Kundenzufriedenheit ist mir unglaublich wichtig - nur glückliche Kunden machen mich glücklich!“ Er setzt wieder die Nadel auf die Platte und wandert bedächtig und die Macht sichtlich genießend auf und ab. Er formt seinen Daumen und Mittelfinger zu einem Fingerschnips, und noch kurz bevor es „Schnips!“ machte, hatte Lushs gefältelte Hemdenbrust schon die Bekanntschaft mit der rechten Klaue von Maul gemacht. Seine Brust hatte er knapp - wahrscheinlich absichtlich - verfehlt. Jedenfalls hing sein Abendhemd von Turndown & Asshair nun in Fetzen von seinem Körper und passte so ungleich mehr zu seiner Smokinghose mit Loch am Allerwertesten. Mr Lush überlegt kurz, ob er sich nicht für diese stilsichere Hilfe von Maul bedanken sollte, doch ihn bestürzt der Gedanke, dass der Tiger nicht über sich selbst lachen könne und sich das nächste Mal mehr Mühe beim Treffen geben würde. Und da war sie wieder: Lushs Unfähigkeit schlagfertig zu sein … einer der großen Kritikpunkte, die seine Bond-affine Ex-Frau immer wieder ihm gegenüber in großer Gesellschaft zu Lushs Erniedrigung lautstark erwähnen musste. Mahto hebt die Nadel kurz an und fragt mit geneigtem Kopf: „Mr Lush, wo sind die Zibraffen? Ich muss Ihnen sicherlich nicht erklären, wie das hier sonst weitergehen wird.“
Oliviers Heer hatte mittlerweile Höchstgeschwindigkeit - die Pinguine hingen zugegebenermaßen ein wenig hinten dran - erreicht und trotzdem brüllt der kleine Napoleon nur: „Noch schneller! Noch schneller!“ Ihn plagt die Angst, seinem dummen Lush wäre etwas geschehen … dass es zu spät sein könnte! Wenn dieser Mahto ihm etwas angetan hätte, könnte der Schurke sich sicher sein, dass ihm die Umwege eines Kriegsgerichts erspart blieben.
Vor den tödlichen Krallen der Tiger Paul und Maul schaudernd spielt in Mr Lushs Kopf mittlerweile nur noch ein finales Abschiedslied: Spicks & Specks von den BeeGees - fragen Sie nicht wieso, weiß er selber nicht.
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Er ist sich seines Todes gewiss und er wird so sterben, wie es ihm immer alle vorausgesagt haben: als Mr Lonely! Paul und Maul kichern derweil über das auf der nackten Brust entblößte Tattoo von Mr Lush - eine Jugendsünde auf der linken Brust über dem Herzen: Ein kleines, zerbrochenes, rotes Herz - was für ein melodramatischer, sensibler Kerl er früher doch war. „Mr Lush, WO SIND die Zibraffen???“ Er formt die Finger zum Fingerschnips, doch anstatt des klickenden Geräusches wurde es auf einmal unruhig in der Festung. Musik und Randale! Die Tiger Paul und Maul und Mr Mahto drehen sich verdutzt um … und können ihren Augen nicht trauen. Massen von wilden Tieren stürmen die Festung und beginnen Gatter und Gehege zu öffnen - der Mader Ingo Messerschnitt als oberstes Instrument an jedem Schloss dabei. Als Mr Mahto dann nun noch den in der doppelreihigen Uniform auf der Zieraffe reitenden Ozelot mit Augenklappe sieht, wird ihm klar, in welch misslicher Lage er doch steckt. Auch Olivier hat Mahto bemerkt, bewaffnet sich mit der gelben Kamikaze-Seegurke Dieter, die auf einem mitgerittenen Nashorn auf dem Rücken als Geheimwaffe ruhte. Diese meint - nun voll in ihrem Element -: "Ich weiß, was ich zu tun habe!" und bindet sich ein schwarzes Bandana um die Stirn. Die Wildkatze trabt jedenfalls sanften, eleganten Schrittes auf Kuku reitend auf das Gehege zu - ein erleichterndes, kurzes Nicken von Kuku und Oliver zu „Lush Kopfüber“.
„Mr Mahto, schön, dass wir uns hier wiedersehen. Lange ist es doch her, richtig?!“
Mr Mahto ist versteinert.
„Mr Mahto?! Huhu … ich spreche mit Ihnen.“
Mr Mahto beginnt zu zittern. Paul und Maul machen sich dann auch langsam auf - gen Tor, das Ingo Messerschnitt schon im Begriff zu öffnen ist - und sagen noch kurz zu Lush: „Nichts für ungut. Irgendwann mal ein Bier?!“ - „Ja … klar. Bis irgendwann mal.“, antwortet Lush.
„Wissen Sie, da Sie dann doch eher sprachlos wirken, möchte ich Sie auch nicht unbedingt unnötig belasten.“ Der Ozelot nimmt sprachlich Fahrt auf. „Wir machen es Ihnen einfach: Sie bleiben im Gehege und sie wählen die nach Ihrem Gefühl adäquate Bestrafung selbst … oder Sie lassen diese Entscheidung bei uns und treten aus dem Gehege. Bei zweiterer Wahl garantiere ich für nichts.“
Mr Mahto setzt zwei Schritte zurück und rückt sich einen Stuhl neben dem Plattenspieler zurecht. Sein Reich zerfällt gerade innerhalb weniger Momente vor seinen Augen … und dann auch noch angeführt durch einen Abtrünnigen.
Lush kann sich derweil nicht entscheiden, wo er hinschauen soll: Auf Mahto, auf das Öffnen der verschiedenen Gehege und Volieren, auf den siegessicher lächelnden Ozelot? Er entscheidet sich für den Blick auf den mittlerweile nickenden Mr Mahto. Der mit zitterndem Zeigefinger auf die gelbe Seegurke Dieter zeigt. Der Ozelot versteht sofort, setzt die Seegurke an die Lippen und macht kurzen Prozess: Die Seegurke fungiert als Blasrohr, das Seegurken-Projektil fliegt und trifft Mahto tödlich an den Schläfen. Mr Lush dreht entsetzt - auch ein bisschen verdattert; wusste er ja nicht, dass man eine Seegurke auch so verwenden konnte - seinen Blick zum Ozelot.
Lush hatte noch nie einen toten Menschen gesehen. Olivier hebt seine Augenklappe und zwinkert - wie es eben nur Ozelots können. Ein weiterer Fingerschnips des Katers und der halbnackte Lush wird auch schon von den Pavianen befreit - die voller Freude über die neu gewonnene Freiheit eher wenig über die Schwerkraft nachdenken, und so landet Lush aus zwei Metern Höhe und bremst mit dem Gesicht zuerst. Das letzte, was er hört, ist ein kurzer Moment der Stille ... gefolgt von einem tiefen, entsetzten, tierischen Stöhnen.
Bin ich tot, habe ich jemals gelebt oder lebe ich erst jetzt? - Mr Lush
Sekunden, Minuten oder Stunden später - Lushs Armbanduhr gibt wie immer keine Auskunft - klopft Olivier dem auf der Krankenbahre liegenden Lush auf die Schulter und spricht dankend folgende Worte: „Auf Dich wartet der Krönungssaal!“
[spotifyplaybutton play="spotify:user:1219134283:playlist:4ak0rjcdblSZeH6f1z86dz"/]Lush dreht seinen Kopf in Richtung Olivier, schließt seine Augen - der Kopf dröhnt - und nickt. „Jetzt ab zur Krankenstation der Erdmännchen!“, spricht Olivier zu den Ameisen. Lush hebt voller Schmerz leicht den rechten Arm und winkt Olivier mit dem Handrücken zu. Die Ameisen setzen die Bahre gen Sonnenaufgang in Bewegung. MM/EG/JHS