London. Der immerwährende Regen an den Scheiben des Traditionshaus Norton & Sons erinnerte an einen lockeren Trommelwirbel. Die Atmosphäre untermalte (fast gespenstisch) die Inhalte des Head-Cutters Nicholas Hammond, der als Praktikant bei dem modernen Haus anfing und so die Geschichtsschreibung mitbestimmte.
Norton & Sons – Die Renovierung eines beliebten Hausschnitts
Norton & Sons wurde 1821 von Walter Grant Norton gegründet. Schnell avancierte das Schneiderhaus zum Eldorado der jungen und sportlichen Eliten. Elf ehemalige königliche Zertifikate und Bestellungen des jungen Winston Churchhills, Lord Mountbatens und Lord Carnavons bestätigen den aristokratischen Hauch des Hauses an der No. 16 Savile Row. Als in den 1970er Jahren Norton & Sons sich das altehrwürdige Haus E. Tautz & Sons (est. 1867), Schneider der bestangezogensten Amerikaner, einverleibte, dachten viele, dass Norton & Sons unüberwindbar wäre. Doch nachdem Familie Granger das Familienunternehmen 2005 für einen Spottpreis zum Verkauf anbot, standen erhebliche Zweifel im Raum, ob die Marke nicht verschwinden würde.
Der damals 33-jährige Oxford-Alumnus Patrick Grant verkaufte sein Haus, sein Auto und auch alles andere und erwarb mit Hilfe eines Kredits das Schneiderhaus: Mit nichts außer Enthusiasmus in der Tasche wollte er Norton & Sons eine Grundüberholung geben. Ziel war es, dass Haus modern zu renovieren, ohne dabei die Wurzeln zu vernachlässigen. So wurden die Räumlichkeiten zeitgemäß gestaltet - große helle Räume mit einer kleinen Werkstatt im Hinterzimmer - und sich nur noch auf die Innovation des Schnitts konzentriert.
Ein sportlich schmaler Schnitt
Der Einfluss der royalen Kundschaft mit Liebe zum Sport kam damals und kommt auch heute im Schnitt des Hauses zum Tragen: Ein scharfer Cut ohne dabei die englische Zurückhaltung zu vernachlässigen. Fahrradfahranzüge und ähnliche Sonderanfertigungen sind Arbeitsalltag, berichtet Nicholas. Beim Wunsch jede Tätigkeit elegant gekleidet zu verrichten, ist er gerne behilflich. Besonders interessant fand ich die Geschichte über einen Anzug, der über einen interaktiven Stoff mit dem iPhone verbunden war: Sobald man über seinen linken Arm strich, konnte man sein Telefon aus der Brusttasche steuern. Jetzt frage ich Sie, als vielleicht jungen, modernen, aufstrebenden Berliner, der Schneiderei als tot erklärt: Ist das nicht geil?!
Die kurze, romantische Geschichte über Modernität und Unternehmertum kam zu einem Ende und ich musste zurück in den Londoner Regen - hatte aber Glück, denn dieses fabelhaftes Märchen wärmte mein Herz.
Zusatzinformationen
Erstens, das Haus ist Hofschneider dreier europäischer Königsfamilien und schneiderte auch Anzüge für drei US-Präsidenten. Zweitens, die Made-to-Measure Hemden von Norton & Sons werden in Kooperation mit Turnbull & Asser kreiert. Der Kunde sucht sich seine spezielle Norton & Sons Kragenform und den Stoff aus und darf sich auf ein Hemd im Hausstil freuen. Drittens, Sir Hardy Amies besaß eine riesige Kollektion an alten Anzügen von N&S - vielleicht war dies auch ein Grund, warum Frauenschwarm David Ghandy sich dazu entschloss, sich Anzüge von Norton & Sons schneidern zu lassen. MM